Staffel 4

Software und Konnektivität in der Automobilbranche: „Das Erlebnis pro Kilometer zählt“

Software und Konnektivität in der Automobilbranche: „Das Erlebnis pro Kilometer zählt“

Eines scheint sicher: Ohne die richtige Software und echte Konnektivität geht in der Automobilbranche in Zukunft nichts mehr. Aber was heißt das für die Automobilhersteller? Und wer wird die Nase vorne und die Hoheit über Kundendaten haben – die Hersteller selbst oder Techunternehmen? Der IAA MOBILITY Visionary Club diskutiert über die Anforderungen des Marktes und neue Geschäftsmodelle.

Sie sind mittlerweile so wichtig wie PS und Fahrwerk: Die Qualität und das Angebot an Software und Konnektivität im Auto sind zu relevanten Faktoren für die Kaufentscheidung geworden. „Den Kunden geht es immer weniger um Umdrehungen pro Minute, sondern mehr um Erlebnisse pro Kilometer“, sagt Anilkumar Hariharakrishnan, Director Product Engineering und In Cabin Sensing bei Harman Becker Automotive Systems, im IAA MOBILITY Visionary Club. Damit werden Dienste und Funktionen, die auf Software basieren, künftig zu wichtigen Differenzierungsmerkmalen im Kampf um Kunden. Wer hier punktet, hat einen Wettbewerbsvorteil – und zwar einen erheblichen, so eine Capgemini-Studie aus dem Jahr 2021. Demnach dürften softwarebasierte Funktionen und Services bis 2031 voraussichtlich einen Marktwert von 640 Milliarden US-Dollar erreichen.

Vom Rand in die Mitte 

Der Markt ist also riesig und die Marschrichtung damit klar – nicht umsonst mühen sich Autohersteller seit Jahren, selbst zu Softwareschmieden zu werden. Noch sei hier aber viel Arbeit nötig, sagt Philipp Timmen, Head of Partnerships Europe beim InCar-Entertainment-Experten Zync. „Automotive-Software ist nicht wirklich attraktiv im Moment.“ Noch fehle die Kundenzentrierung. „Außerdem müssen wir das richtige Geschäftsmodell finden, mit dem Autohersteller davon profitieren können, statt nur am Rand zu stehen.“

Kampf um die digitale Heimat

Denn im Automobil stellen sich die Fragen: Auf welchem Gerät findet das digitale Erlebnis des Kunden statt? Welches Gerät ist seine digitale Heimat? Oder anders formuliert: Bietet der Hersteller ein eigenes Ökosystem an, dessen Fixpunkt das Fahrzeug ist, oder wird das Smartphone des Kunden mit all seinen Applikationen ins Fahrzeug integriert? Setzt sich das Smartphone als primäres Gerät für das digitale Erlebnis im Auto durch, seien für die Automobilhersteller alle mit ihm verbundenen Einnahmequellen verloren, warnt Oliver Schwager, Managing Director des Beratungsunternehmens BCG Platinion – und damit der Zugang zu Kunden, Daten und digitalen Geschäftsmodellen. „Deswegen muss jetzt klug und schnell gehandelt werden.“

Lebenswelten vernetzen

Eine Herausforderung für die Automobilindustrie sei, die verschiedenen digitalen Lebenswelten des Kunden, also Zuhause, Arbeit und Fahrzeug, nahtlos miteinander zu vernetzen, sagt Hariharakrishnan.  Damit das gelinge, müsse die Branche deutlich mehr vom Kunden her denken. „Wir bewegen uns in eine Ära, in der wir mehr ein designtes als ein engineertes Auto brauchen. Deshalb brauchen wir Ingenieure, die wie Designer denken, damit wir die hochwertige Software liefern, die der Kunde möchte und nicht das, was die Industrie gerne verkaufen will“, so Hariharakrishnan.

Kultureller Umbruch

Die Industrie steht damit auch vor einem kulturellen Umbruch, der vieles verändert: Softwarezentriert zu arbeiten verlangt nach agileren Methoden und kürzeren Entwicklungszyklen. Es stellt neue Anforderungen an Tests, Validierung und Zusammenarbeit mit Partnern, erfordert andere Prozesse, Instrumente und wohl auch ein neues Selbstverständnis. Und es verändert das Geschäftsmodell, wenn die größte Wertschöpfung nicht mehr beim Verkauf des Autos, sondern in dessen Nutzungsphase stattfindet, weil der Kunde dann für neue Features, Updates und Services bezahlt. „Wir werden von einem seriellen System zu einem Ökosystem kommen“, sagt Schwager.

Erst die Grundsatzfragen lösen

Damit die Automobilindustrie diesen neuen, digitalen Markt mit seinen neuen Einnahmequellen erschließen kann, müsse jetzt investiert werden. Erster Eintrag im Lastenheft: Reibungsverluste verringern, sagt Schwager – und meint damit zum Beispiel, dass eine Technologie wie Connected Charging noch Zukunftsmusik und es immer noch ein verbesserungswürdiges Erlebnis sei, seine eigene Playlist im Auto abzuspielen. „Wirklich immersive digitale Erlebnisse werden später kommen. Wir sind noch dabei, die Basics zu lösen. Und das muss in den kommenden zwei Jahren passieren.“ Welche Features sich dann durchsetzen werden im Auto, entscheiden die Kunden, sagt Hariharakrishnan. Dass sie bereit seien, für digitale Erlebnisse zu bezahlen, davon ist Hariharakrishnan überzeugt. „Aber wir müssen ihnen deren Wert zeigen. Das Kundenerlebnis basierte Denken muss in der Autoindustrie ankommen.“