Bringt autonomes Fahren mehr Lebensqualität in unsere Städte?
Autonom, geteilt, weniger Individualverkehr: Die Mobilität ändert sich weltweit. Doch wie kann autonomes Fahren in die Städte von Morgen integriert werden? Neu geplante Städte spielen oft eine Vorreiterrolle als „Labore der Zukunft“ – hier eine Infrastruktur für innovative Mobilitätsservices zu integrieren, scheint leicht zu sein. Doch wie müssen Stadtplaner in Städten vorgehen, die historisch gewachsen sind? Und haben selbstfahrende Autos tatsächlich ein großes Potential, CO2-Emissionen zu reduzieren? Diesen Fragen geht der Visionary Club der IAA MOBILITY nach – in Abu Dhabi, wo bereits autonome Taxis auf der Straße unterwegs sind. Gesponsort von Bayanat.
Ingmar Schäfer hat eine klare Vision, wenn er an autonome Mobilität in den Städten denkt: Er sieht nahtlos integrierte digitale Systeme vor sich, die es den Konsumenten leichter machen, mobil zu sein und das passende Transportmittel zu wählen. Eine App zum Beispiel, „die mir erlaubt, einen Ort in Dubai einzugeben und dann bekomme ich das ganze Spektrum an Möglichkeiten für die Fahrt.“ Der Principal bei der Boston Consulting Group (BCG) ist Automobil- und Mobilitätsexperte mit Strategieberatungserfahrung in Europa, den USA und dem Nahen Osten. Seit mehr als zehn Jahren lebt und arbeitet er in Dubai. In seiner Vision kann er per App wählen, ob er für seinen Weg von Dubai nach Abu Dhabi ein autonom fahrendes Auto bucht, das ihn zur Station für das fliegende Taxi bringt, oder ob er eine kostengünstigere Variante wählt: „Mit dem E-Scooter zur nächsten Robo-Shuttle-Station bis zum autonom fahrenden Bus, der mich nach Abu Dhabi fährt.“
Eine kühne Vision. Doch ist sie tatsächlich eine Utopie für die ferne Zukunft? Hasan Al Hosani ist CEO von Bayanat. Das Unternehmen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten ist führend in den Bereichen Geodaten-Intelligenz, Datenanalyse und Künstliche Intelligenz (KI) und betreibt TXAI, einen Taxidienst mit autonomen Fahrzeugen in Abu Dhabi. „Die Technologie gibt es. Eine Schlüsselherausforderung ist die Regulierung“, sagt er – obwohl in den Behörden der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und vor allem Abu Dhabis innovativ denkende Beamte sitzen. Die Gespräche für die Etablierung des Taxiservices kreisten vor allem um die Frage, wie dies zu ermöglichen sei, erzählt er.
Mehr Praktikabilität und mehr Bequemlichkeit
Auch in Hasan Al Hosanis Vision zukünftiger Mobilität spielt vor allem Mobility-as-a-Service (MaaS) die führende Rolle. Deren Ziel ist es, den Nutzenden den Transport anzubieten, der optimal auf ihre Anforderungen abgestimmt ist. So benötigen weniger Menschen ein eigenes Fahrzeug, weil sie sich Transportmittel teilen und das Gesamtverkehrsaufkommen zum Beispiel durch Ridepooling oder -hailing reduziert wird. MaaS ist für Al Hosani die Schlüsselkomponente für die Mobilität der Zukunft, die autonom sein wird. „Wenn autonome Systeme ins Spiel kommen, werden die Menschen diese Bequemlichkeit nutzen“, sagt er im IAA MOBILITY Visionary Club. Dennoch müsse man mit dem Faktor der Unvorhersehbarkeit rechnen, „wenn man es mit KI oder Analytics zu tun hat. Man kann die Bewegungen der Menschen, Reaktionen des Fahrers oder den plötzlichen Fall eines Baumes auf die Straße nicht vorhersagen.“
Die Künstliche Intelligenz (KI) brauche Zeit, um zu lernen. „Wir sehen KI wie ein kleines Kind an: Es lernt jeden Tag, arbeitet sich in die Umgebung ein und wird immer akkurater.“ Seine Schlussfolgerung daraus: „Wir müssen die Anzahl autonomer Systeme in unserer Umgebung erhöhen, sodass wir ihre Fähigkeiten verbessern können und das Vertrauen haben, dass wir sie auf ein höheres Level heben können.“
„Seeing is believing“
Das ist auch sein Rat für den Umgang mit Regulierungsbehörden: „Seeing is believing“, sagt Al Hosani und beschreibt, dass auch sein Unternehmen bei der Einführung des autonomen Taxidienstes Schritt für Schritt vorgegangen sei. Solange das Auto autonom auf Level 3 fährt, behält Bayanat einen Security Officer an Bord – damit sich die Mitfahrenden sicherer fühlen, aber auch damit die Regulationsbehörden Vertrauen entwickeln können. Level 3 bedeutet, dass das Fahrzeug so hochautomatisiert fährt, dass die Person am Lenkrad zwar telefonieren oder einen Film ansehen kann, aber jederzeit bereit sein muss, das Steuer zu übernehmen. Zudem sind hier nur Geschwindigkeiten bis maximal 60 km/h erlaubt. Auch darf das Auto nur auf Strecken fahren, die durch eine Barriere vom Gegenverkehr getrennt sind.
Auf Level 4 hat Bayanat die menschliche Begleitung ebenfalls beibehalten. Autonomes Fahren auf Level 4 bedeutet: Das Fahrzeug navigiert selbständig und meistert auch hochkomplexe Verkehrssituationen wie den oben erwähnten umgestürzten Baum zum Beispiel. Dennoch muss eine Person notfalls in das Steuer eingreifen können. Bei der Einführung des autonomen Taxiservices „haben wir spezifische Phasen festgelegt“, erzählt Al Hosani. Das hat sich ausgezahlt: „Wir können basierend auf unseren Erfahrungen geografisch und was die Fahrzeugtypen betrifft, expandieren.“
Emissionen reduzieren durch autonomes Fahren?
Weniger Fahrzeuge auf den Straßen, weniger Unfälle und geringere Emissionen – all das soll das autonome Fahren bringen. Doch gerade, was den verminderten Ausstoß von CO2 betrifft: Können autonom fahrende Fahrzeuge tatsächlich dazu beitragen, dass weniger Schadstoffe in die Luft gelangen? Al Hosani zeigt sich überzeugt: Weniger Stop-and-Go durch besser organisierten Verkehr und konsistenter gehaltene Geschwindigkeit reduzierten per se schon den Emissionsausstoß. Und sobald in der Zukunft die Interaktion zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur per V2X zunehme, würde der Verkehrsfluss des Transports vereinfacht und Drop-off- und Pick-up-Points sowie Haltestellen würden weniger belastet.
Ingmar Schäfer untermauert diese Argumentation und zitiert im IAA MOBILITY Visionary Club eine Studie der Boston Consulting Group in Zusammenarbeit mit der Universität St. Gallen, die auch die Auswirkungen autonomen Fahrens untersucht hat: „Eines der Ergebnisse war, dass Los Angeles 2,7 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr einsparen könnte.“ Auch wenn das wie ein Tropfen auf den heißen Stein erscheine: „Wenn jede Stadt ihren Beitrag leistet, wird es effektvoll sein.“ New York zum Beispiel könne, wenn autonome Shared-Mobility eingeführt würde, eine Fläche von etwa 900 Blocks, die derzeit für Parkplätze benötigt wird, anderweitig nutzen. „Das entspricht etwa sechs Central Parks“, betont Schäfer. Ein Szenario, das vielen Menschen – nicht nur in New York – sicher gut gefällt.