Urban Mobility
Welcome to Silicon Wadi: Israels Mobility Start-ups heben ab
Echtzeit-Datenanalyse für einen verbesserten Verkehrsfluss, Medizin-Check beim Fahren und Lufttaxis, die als fliegender Krankenwagen zum Einsatz kommen: Die Start-up-Szene Israels sorgt mit spektakulären Innovationen im Mobilitätssektor weltweit für Aufsehen. Wir stellen einige davon vor. Foto © Dan Golf/Unsplash
Welcome to Silicon Wadi! So heißt die pulsierende Start-up-Szene in Tel Aviv, benannt nach ihrem US-amerikanischen Vorbild Silicon Valley in der kalifornischen Bay Area. Bereits seit einigen Jahren zählt Israel zu einem der führenden Hightech-Standorte weltweit und macht sich einen Namen als Hot Spot für Innovationen, digitale Technologien, neue Mobilitätsdienstleistungen und Car-IT. Bei 8,8 Millionen Einwohnern verfügt das Land über 6.500 Start-ups. Jedes Jahr kommen rund 1.000 bis 1.500 neue hinzu, die Investitionssumme pro Kopf ist die weltweit höchste.
Auch in der Mobility-Szene tut sich einiges: Mehr als zehn Prozent der Start-ups entwickeln Ideen rund um das Thema Mobilität. Deshalb sind längst auch große Autohersteller wie Volkswagen und Mercedes-Benz auf Israel aufmerksam geworden. 2017 gründete Škoda einen Ableger seines DigiLab in Tel Aviv. Seit 2019 ist auch BMW mit einem Technology Office in der Hauptstadt präsent. Und dies sind nur einige Beispiele. Die außergewöhnlichen Ideen der Mobility-Start-ups sind vielfältig:
100 Kilometer Reichweite in fünf Minuten
Das israelische Technologieunternehmen Storedot arbeitet an der Entwicklung superschnell aufladbarer Batterien, um damit das Problem der „Reichweitenangst” zu lösen. Während sich ein Verbrennungsmotor schnell auftanken lässt, wenn der Tank fast leer ist, dauert der Ladevorgang der Batterie eines Elektroautos deutlich länger. Zumindest mit dem heutigen Stand der Technik. Das im Jahr 2012 gegründete Start-up-Unternehmen hat als Investoren unter anderem den Stuttgarter Autobauer Daimler und den britischen Ölkonzern BP gewonnen. Anfang 2021 stellte Storedot seine „XFC-FlashBattery“ vor. Das Besondere daran: Sie beinhaltet Nanomaterialien und patentierte organische Substanzen. Innerhalb von fünf Minuten kann sie für eine Reichweite von 100 Kilometern geladen werden. 2025 soll die neue Batterietechnik auf die Straße kommen.
Das Auto als Ruhezone
Das Start-up Silentium konzentriert sich auf die Optimierung des Fahrerlebnisses. Um die Straßengeräusche aus dem Innenraum zu verbannen und die Autoinsassen vor unerwünschtem Lärm zu schützen, nutzt das Unternehmen hochmoderne Software sowie das Noise Cancelling-Prinzip, das man bereits von Kopfhörern kennt. Das Fahrzeug nimmt die Geräusche vom Verkehr und der Straße auf und sendet sie an eine Steuereinheit, in der die sogenannte „Active Acoustics“-Software von Silentium arbeitet. Über die Lautsprecher des Soundsystems wird dann ein Antischall in den Fahrzeuginnenraum geschickt. Diese Frequenzen unterdrücken bis zu 90 Prozent der Straßengeräusche und sorgen so für eine Ruhezone im Auto. Ein weiterer Vorteil dieser Technologie: Sie reduziert das schwere und teure Dämmmaterial beim Fahrzeugbau und damit die Kosten. Außerdem ist es möglich, Musik auf jeden einzelnen Sitzplatz einzugrenzen. Das ist gerade bei der Fahrt mit der ganzen Familie ein großer Pluspunkt. Jeder kann seine Musik hören, ohne dass die anderen etwas davon mitbekommen.
Die Fahrergesundheit im Blick
Um das körperliche Wohlbefinden der Fahrzeuginsassen geht es auch beim Start-up CU-BX. Die vom Unternehmen entwickelte Kamera führt während der Fahrt einen Medizin-Check durch. Mithilfe eines optischen Sensors werden unter anderem Puls und Blutdruck gemessen. Die gesammelten Daten werden in der unternehmenseigenen Health Cloud mithilfe von künstlicher Intelligenz analysiert. So lassen sich Rückschlüsse auf das Stresslevel oder Wohlbefinden des Fahrenden ziehen sowie detaillierte Informationen über seinen Gesundheitszustand erstellen. Darüber hinaus kann die Software auch für mehr Sicherheit sorgen, da sie zunehmende Müdigkeit des Fahrers rechtzeitig erkennt und warnt.
Mit künstlicher Intelligenz auf Parkplatzsuche
Um Daten geht es auch beim Start-up Anagog. Die Software des Unternehmens analysiert Bewegungsmuster mithilfe von in Smartphones integrierten Sensoren und sagt auf Basis dieser Daten auch künftige Bewegungsszenarien vorher. Dabei kommt ebenfalls künstliche Intelligenz zum Einsatz. Die Technik liefert nützliche Erkenntnisse zu verbesserter Verkehrsführung, Hilfe bei der Parkplatzsuche und personalisierten Versicherungsangeboten. Als Investoren sind Daimler und Škoda mit an Bord.
Das 2015 gegründete Start-up Otonomo sammelt und analysiert Fahrzeugdaten. Über seine cloudbasierte Plattform stellt es diese Informationen Herstellern, Zulieferern, Versicherungen, Kommunen und Mobility-Start-ups zur Verfügung.
Abgehoben? Von wegen!
Die Autotüren des Taxis gehen auf, man steigt ein und hebt ab. Klingt nach Science-Fiction? Nein, das könnte schon sehr bald Realität werden. Das Start-up Urban Aeronautics entwickelt zurzeit ein Flugtaxi. Der Prototyp des E-Senkrechtstarters CityHawk flog bereits im Sommer 2018 – damals noch mit Hybridantrieb. 2020 ging Urban Aeronautics eine Partnerschaft mit dem kalifornischen Start-up HyPoint ein, das eine innovative Brennstoffzelle zur Verfügung stellt. Diese soll künftig für mehr Leistung sorgen und über eine längere Lebensdauer als herkömmlichen Brennstoffzellen verfügen. Die Propeller des Flugtaxis befinden sich vor und hinter der Fahrgastzelle in die Karosserie und nicht auf dem Dach, wie von Hubschraubern bekannt. Urban Aeronautics plant verschiedene Anwendungsbereiche für sein Lufttaxi: Neben der Personenbeförderung soll es als fliegender Krankenwagen zum Einsatz kommen. Inzwischen kann das Start-up mehr als 300 Testflüge vorweisen und rechnet bereits für 2025 mit den ersten kommerziellen Flügen.
Mobileye: Mit kamerabasierten Assistenzsystemen zum Markführer
Mobileye entwickelt Fahrerassistenzsysteme, die auf optischen Technologien basieren. Ziel ist es, mithilfe von Warnungen eventuelle Kollisionen zu vermindern oder ganz zu vermeiden. Das Unternehmen wurde 1999 gegründet und stattet unter anderem Fahrzeuge von Audi und BMW aus. Insgesamt hat Mobileye mehr als 25 Autohersteller als Partner. 2020 erhielt Mobileye sogar die Erlaubnis, selbstfahrende Autos auf deutschen Straßen zu testen und arbeitet mit verschiedenen Herstellern daran, diese Technik bald auf die Straßen zu bringen. Aus dem Silicon Wadi nach Europa!
Vielzahl an israelischen Ausstellern auf der IAA MOBILITY 2021
In München konnten Sie zahlreiche israelische Unternehmen samt ihren Neuheiten erleben, darunter:
City Transformer: Ein Stadtflitzer, der sich bei Bedarf schmal macht und in jede Lücke passt – das ist wohl der Traum eines jeden Großstädters auf Parkplatzsuche. Auf der IAA MOBILITY stellte das israelische Start-up City Transformer seine Lösung vor: Ein Auto mit innovativem Faltmechanismus. Damit kann der CityTransformer von der Größe eines normalen Autos auf die Breite eines Motorrads zusammenschrumpfen. Dazu fährt er rein elektrisch, ist bestens vernetzt und damit auch für die Nutzung in Flotten perfekt geeignet. Das Basismodell soll ca. 13.000 US-Dollar (ca. 11.000 Euro) kosten und ist bereits gegen eine Anzahlung von 180 Dollar (ca. 152 Euro) vorbestellbar.
Cipia: Für bessere und sicherere Autofahrten bietet Cipia Systeme an, um den Innenraum zu überwachen. Wieviele Passagiere sind an Bord? Sind alle angeschnallt? Ist der Fahrer abgelenkt, raucht er, spielt er auf seinem Handy oder ist wer müde? Liegen lose Taschen auf der Rückbank? Ist ein Kindersitz mit an Bord? Zugrunde liegen eine Kamerasicht, die edge-basiert ausgewertet wird, sowie Künstliche Intelligenz, die die Daten auswählt. Außerdem gibt es Lösungen für Flottenbetreiber und Anbieter von Telematiklösungen.
Innoviz: Lidar-Sensoren helfen Autos dabei, sich zu orientieren – und ermöglichen auf diese Weise das autonome Fahren. Innoviz bietet diese Sensoren in Kombination mit Softwarelösungen an, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz Objekte erkennen und einordnen können, ohne eine extrem hohe Rechenpower zu erfordern.
Upstream Security: Autonom fahrende und miteinander vernetzte Fahrzeuge setzen voraus, dass ihre Software sicher ist. Upstream Security hat die erste cloudbasierte Sicherheitsplattform entwickelt. Die C4-Plattform wurde speziell für den Schutz von vernetzten Fahrzeugen und intelligenten Mobilitätsdiensten vor Cyberangriffen oder Missbrauch, sowohl im stehenden Zustand als auch während der Fahrt, entwickelt. Dahinter steckt eine zum Patent angemeldete, mehrschichtige Sicherheitsarchitektur, die die umfassendste Cybersecurity-Erkennung im Automobilbereich bildet.
Gauzy: Eine Scheibe, die sich bei Bedarf verspiegelt und für Privatsphäre sorgt, oder eine Möglichkeit, das Glas bei starkem Sonnenschein zu tönen und dadurch Wärme fernzuhalten (und Energie für die Klimaanlage sparen) – oder hauchdünne Displays auf der Scheibe: Die LCG-Glastechnologie von Gauzy macht all dies möglich.
Auch mit dabei waren: Selbstheilende Software für vernetzte Fahrzeuge von Aurora Labs, Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Kommunikationstechnologie von Autotalks, Simulationssoftware für autonome und fortschrittliche Fahrerassistenzsysteme von Cognata und ein System zur Verwaltung der Luftqualität im Fahrzeuginnenraum und der Benutzererfahrung von Crispify.
All diese Beispiele zeigen, dass die israelische Start-up-Szene den innovativen Köpfen im Silicon Valley in nichts nachstehen. Im Gegenteil, wir dürfen gespannt sein, welche spannende Ideen uns als Nächstes erwarten!