Urban Mobility
Mehr Klimaschutz durch digitalisierten Verkehr
Mit der Digitalisierung wird die Mobilität sicherer, effizienter und komfortabler. Was dabei häufig übersehen wird: Das bringt auch viele Vorteile für den Klimaschutz mit sich.
„Mit der Digitalisierung halten wir einen extrem starken Hebel in der Hand, um den CO2-Ausstoß schnell und effektiv zu senken“, sagt Achim Berg, Präsident des Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) in Deutschland. Der Verband veröffentlichte im Rahmen des Digital-Gipfels der Bundesregierung im Herbst 2020 eine umfangreiche Studie, in der das enorme Nachhaltigkeitspotential der Digitalisierung erstmals konkret beziffert wird. Demnach könnten allein in Deutschland durch den gezielten Einsatz digitaler Technologien rund 120 Megatonnen CO2 in den nächsten zehn Jahren eingespart werden. Das entspricht fast der Hälfte dessen, was Deutschland noch einsparen muss, um seine selbstgesteckten Klimaziele bis 2030 zu erreichen.
Intelligente Infrastruktur
Der Mobilitätssektor könnte bei den CO2-Einsparungen eine entscheidende Rolle spielen, wie die Studie zeigt. Ihr zufolge lassen sich hier mit einer beschleunigten Digitalisierung in den nächsten zehn Jahren allein bis zu 28 Megatonnen CO2 einsparen. Doch wie genau soll das funktionieren? Kurz gesagt: Durch mehr Effizienz. Denn ob Carsharing-Plattformen oder autonomes Fahren – letztlich führen digitale Technologien immer zu einer effizienteren Nutzung von Mobilität und damit auch zu einem geringeren Ressourcenverbrauch. Ein gutes Beispiel hierfür ist die sogenannte Car-to-Infrastructure-Communication bei vernetzen Fahrzeugen, die durch eine intelligente Verkehrssteuerung den Verkehrsfluss effizient beeinflussen kann. Straßen, Ampeln sind mit Sensoren und WLAN ausgestattet, tauschen Signale mit den Fahrzeugen aus , um Ampelschaltungen in Echtzeit anzupassen oder Umleitungen zu optimieren. Denn gerade das Abbremsen und Wiederbeschleunigen von Fahrzeugen kosten sehr viel Energie.
Autonomes Fahren: Reibungslos und ressourcenschonend
Deutliche Effizienzgewinne sind auch bei autonomen Fahrzeugen möglich. Anders als konventionelle Autos sind sie darauf programmiert, sich an den Verkehr anzupassen, die optimale Route zu nehmen. Autonome Fahrzeuge verzichten auf unnötiges Beschleunigen und Bremsen. Für den Gesamtverkehr bedeutet das: Je mehr Fahrzeuge automatisiert und vernetzt fahren, desto weniger Stop-and-Go-Verkehr und Staus entstehen. Darüber hinaus werden auch die Fahrten zur Werkstatt seltener, da mit zunehmender Vernetzung der Einsatz von „Over-The-Air-Updates“ steigt und somit Softwareprobleme schnell von unterwegs behoben werden können.
Bessere Auslastung durch smarten ÖPNV
Die Digitalisierung kann auch dazu führen, dass die bestehende ÖPNV-Infrastruktur besser genutzt wird. Und das sowohl durch intelligente Busse und Bahnen als auch durch ein verbessertes Bezahlsystem. Ersteres ist zum Beispiel möglich, indem ungenutzte Verkehrsmittel mittels intelligenter Nachfragevorhersagen gezielt dorthin geschickt werden, wo sie gebraucht werden. Ein anderer Ansatz arbeitet mit flexiblen Haltestellen im öffentlichen Transportsystem, die nur bei vorheriger Buchung angefahren werden. Mit der Volkswagen-Tochter MOIA gibt es bereits ein Start-up, das derartige Services zusammen mit den städtischen Verkehrsdiensten in Hamburg und Hannover anbietet. In Hamburg betreibt MOIA rund 15.000 virtuelle Haltepunkte und eine Flotte mit 330 Fahrzeugen. Die Dienste des Unternehmens können sowohl über die unternehmenseigne App als auch über die App des Hamburger Verkehrsverbunds gebucht werden. Das erleichtert die Bezahlung und regt zu multimodularer Mobilität an, also dem fließenden Übergang zwischen verschiedenen Mobilitätsformen. Integrative und nutzerfreundliche Apps sind hierfür eine wichtige Voraussetzung. Darüber hinaus spielen im Bereich des ÖPNV natürlich auch autonome Busse eine zentrale Rolle. Hier zeigen Projekte wie der HEAT aus Hamburg oder See-Meile in Berlin, wohin die Reise in Zukunft geht.
„Sharing is Caring“
Plattformen mit Car- und Ride-Sharing-Services können ebenfalls für eine effizientere und ressourcenschonendere Mobilität sorgen. Beim Ride-Sharing verabreden sich – ähnlich wie bei der klassischen Fahrgemeinschaft – mehrere Fahrgäste mit ähnlicher Zielrichtung, ein Fahrzeug gemeinsam zu teilen. Ein beliebter Anwendungsbereich ist der Pendlerverkehr. Hier legen viele Menschen regelmäßig die gleichen Arbeitswege zurück. Durch digitale Lösungen wie die Pendler-App Carployee könnten sie sich in Zukunft besser organisieren, Wegstrecken sparen und so die Umwelt schützen. Beim Carsharing können dagegen einzelne Fahrzeuge aus einem Sharing-Pool von Nutzern flexibel gebucht werden. Beides ist nur durch den Einsatz smarter Technologien möglich und sorgt für eine höhere Auslastung im Verkehr.
Smart Factory und Logistik: Automobilbranche geht voran
Neben dem Verkehr selbst gibt es für die Mobilitätsbranche allerdings auch noch andere Möglichkeiten, die Digitalisierung nachhaltig einzusetzen – zum Beispiel in der Produktion. Die Vernetzung, Automatisierung und Flexibilisierung von Fabriken und Materialflüssen in der Logistik – auch Smart Factory und Smart Logistics genannt – werden eine wichtige Rolle spielen. Mit IoT-Anwendungen und intelligenten Steuerungssystemen können künftig viele Ressourcen gespart werden. Die Automobilindustrie gehört dabei zu den führenden Branchen. Laut einer 2020 veröffentlichten Studie der Unternehmensberatung Capgemini hat sie allein in den vergangenen zwei Jahren ganze 30 Prozent ihrer Werke zu „intelligenten Fabriken“ umgebaut. In den kommenden drei Jahren, so Capgemini, werden die Investitionen in den Ausbau intelligenter Fabriken sogar um 60 Prozent zunehmen.
Digitaler Verkehr: Je schneller, desto besser
Natürlich sind viele Fragen aber noch offen. Etwa, ob es mit der Verbreitung digitaler Mobilitätsangebote künftig vermehrt zu Rebound-Effekten kommen wird, also dem Anstieg der Mobilitätsnachfrage, ausgelöst durch Effizienzsteigerungen und geringere Kosten. Auch ist heute noch nicht genau abzusehen, wie hoch der Energieverbrauch der Digitalisierung selbst sein wird – eine möglichst schnelle Energiewende stellt daher in jedem Fall eine wichtige Voraussetzung für das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele dar. Das Gleiche gilt nach den Berechnungen des Bitkom-Verbands auch für die Digitalisierung: „Je schneller und konsequenter digitale Technologien eingesetzt werden, desto mehr CO2 können wir künftig einsparen“, so die Einschätzung von Bitkom-Präsident Achim Berg.