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„Unsere Ziele lassen uns schwitzen“

Reduzieren, ohne den Kundennutzen zu verringern: Daniela Bohlinger entwickelt als Head of Sustainability Design bei der BMW Group verantwortungsvolle Mobilitäts-Lösungen. Foto: © BMW

Reduzieren, ohne den Kundennutzen zu verringern: Daniela Bohlinger entwickelt als Head of Sustainability Design bei der BMW Group verantwortungsvolle Mobilitäts-Lösungen. Foto: © BMW

Neue Materialien, neue Produktionsweisen – plant ein Automobildesigner nachhaltig, verändert das den gesamten Herstellungsprozess, vom Einkauf der Ressourcen bis hin zur Produktionslinie im Werk. Daniela Bohlinger, Head of Sustainability Design bei der BMW Group, treibt das Thema bei der Entwicklung neuer Autos voran. Denn nachhaltige Mobilität bedeutet nicht nur, möglichst emissionsfrei zu produzieren und zu fahren.

Was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie?

Daniela Bohlinger: Mir ist sehr wichtig, dass es einen wertvollen Umgang mit Ressourcen gibt. Wir denken im Gemeinwohl und müssen verantwortungsvoll mit dem umgehen, was wir heute zur Verfügung haben. Nachhaltigkeit bedeutet für mich, die Verantwortung für mein Handeln zu übernehmen. Auch wenn es dem eigenen Leben ein Umdenken abverlangt.

Nachhaltigkeit und Mobilität – wie passt das zusammen?

Wir kommen in unserer Welt nicht um die Mobilität herum. Es gibt Regionen, in denen Menschen ohne sie abgeschnitten sind. In Städten gibt es mittlerweile viele tolle Lösungen, um sich sehr CO2-neutral zu bewegen. Aber in ländlicheren Gebieten braucht man Mobilität. Deshalb ist es wichtig, dass die Lösungen, die man schafft, verantwortungsvoll sind.

Daniela Bohlinger prüft die zum Recycling vorgesehenen Fischernetze. © BMW

Wie wird ein Auto unter dem Blickwinkel des Designs nachhaltiger?

Als Designerin habe ich die Chance, den CO2-Fußabdruck stark zu beeinflussen, denn etwa 80 Prozent davon bestimmt das Design, und zwar von der ersten Linie an. Wir haben die Chance, Autos noch effizienter zu gestalten. Über Oberflächen, über Materialwahl.

Wo genau setzen Sie an, wenn Sie sagen: Wir machen das Auto nachhaltig?

Es beginnt mit der Frage, welche Art der Produktion ich nutze. Bei einer linearen Produktion – Cradle to grave – endet das Fahrzeug in der Regel als Oldtimer oder auf einem Schrottplatz. Oder man geht in ein zirkulares Modell. Das ist die jetzige Riesenherausforderung für die ganze Industrie. Wenn wir in Zukunft so gestalten, dass wir die Materialien und Bauteile aus dem Auto wieder nutzen können, bedeutet das, dass man ein Fahrzeug komplett anders aufbauen muss.

Was bedeutet es, über das Design zu verschlanken?

Alles, was wir nicht brauchen, wird weggelassen. Es gibt auch Bauteile, die wir heute nicht mehr brauchen, weil wir inzwischen viel innovativer sein können und über Design eine neue Formensprache entwickeln können. Wir haben mittlerweile zum Beispiel einen relativ dicken Sandwich-Aufbau. Zukünftig kann man mit nur einem Material arbeiten, ein sogenanntes Monomaterial, welches uns hilft, ein sortenreines, recyclingfähiges Material zu verwenden, das bessere Eigenschaften für das Recycling mitbringt. So können wir reduzieren, ohne Material zu verkleben und zu verschweißen. Es wird dann in Zukunft nur verklickt und lässt sich somit wieder auseinander bauen.

Werden wir beim Fahren denn nicht einiges vermissen?

Man kann reduzieren, ohne den Nutzen für den Kunden zu verringern. Ein Beispiel: Wir haben im Auto sehr viele verschiedene Bedienoberflächen oder Knöpfe – alles verteilt offen auf der Tafel. Auch in der Tür gibt es verschiedene Knöpfe. Das kann man zentralisieren. Auch die Digitalisierung hilft dabei, zu vereinfachen, Dinge zu bündeln und intelligenter zusammenzufassen. So erhalten wir eine ruhige Tür und ein einziges Bedienfeld in der Mitte.

Nachhaltigkeit bei der Produktion des BMW i3: 25 Prozent der für die thermoplastischen Außenteile verwendeten Materialien wurden recycelt oder stammen aus erneuerbaren Ressourcen © BMW

Ein Auto besteht aus ungefähr 10.000 verschiedenen Materialien. Wie kann man hier reduzieren?

Wir haben zum Beispiel unglaublich viele unterschiedliche Kunststoffe. Einer fühlt sich ein bisschen weicher an, ein anderer fließt besser. Die wichtigen Fragen sind: Welche dieser Materialien haben einen hohen CO2-Impact? Mit welchen Stoffen, die die gleichen Anforderungen ressourcenschonender erfüllen, können sie ersetzt werden? Man kann ebenso Stahl und Aluminium kaufen, das schon einmal im Zyklus war, das entweder aus dem Flugzeugbau kommt oder möglicherweise sogar aus unseren eigenen Fahrzeugen stammt. Denn Stahl und Aluminium können hervorragend recycelt werden. Es geht darum, die Wertschöpfungskette zu erhalten.

Wie kommen Sie auf solche neuen Materialien?

Wir tauschen uns unter anderem mit anderen Firmen aus. Ich habe zum Beispiel intensive Kontakte zu Ikea oder mit Adidas. Puma hat einen Sitz für uns gestaltet und wir einen Turnschuh, um zu sehen, wie man mit Materialien umgehen kann. Mit Bosch Siemens Hausgeräte diskutieren wir die Themen Metalle und Oberflächen. Die Materialdesigner tauschen sich aus, wie man an die Entwicklung nachhaltiger Materialien herangehen kann. Zudem haben wir in München, Los Angeles, USA, und Schangai,China, unsere Designworks-Kollegen sitzen, die für uns recherchieren, was auch in ihren Märkten im Bereich Nachhaltigkeit relevant werden kann. Hier spielen auch politische Vorgaben und Entscheidungen eine große Rolle. Wir entwickeln neue Materialien, die zum Beispiel auch in der Modewelt ankommen – aber wir entwickeln sie so, dass sie den Anforderungen fürs Automobil entsprechen.

Aber Sie müssen beim Design darauf achten, dass visuelle oder haptische Gewohnheiten durch die neuen Materialien erhalten bleiben...

Ja. Oder sogar besser sind. So, dass der Kunde sagt, bis jetzt hat mir das Material sehr gut gefallen, aber das neue ist großartig. Wenn man zum Beispiel das Amaturenbrett nicht mehr aus einem schwarzen Kunststoff herstellt, sondern aus Flachs, stellt sich die Frage: Was müssen wir tun, damit das in der Wahrnehmung des Kunden eine hohe Wertigkeit bekommt und nicht als Ersatz, sondern als eine Steigerung des Erlebniswertes gesehen wird? Aber teilweise sieht man Nachhaltigkeit gar nicht. Zum Beispiel sieht man einen schwarzen Kunststoff im Interieur, aber nicht, dass er zu 80 Prozent aus Rezyklaten besteht. Es ist wichtig abzuwägen, an welchen Materialien wir ästhetisch-optisch arbeiten und welche wir aus Nachhaltigkeitssicht nur in ihrer eigenen Performance verändern. Man kann nicht einfach Leder durch ein Material aus Mangroven, Kork oder Ananasfasern ersetzen. Man muss dabei jedes Material für Tür, Sitz oder Himmel einzeln betrachten.

Leder kann durch ein Material aus Pressrückständen von der Apfelsaftherstellung und Polymeren ersetzt werden © Nathan Hulsey / Unsplash

Welche Aspekte sind beim Einsatz durch nachhaltige Ressourcen wichtig?

Es gibt Materialien, die bei der Biegesteifigkeit zum Beispiel eine bessere Performance bieten. Flachs kann zum Beispiel in Gitterstrukturen gelegt werden und so können komplett neue Formen gestaltet werden. Carbonmatten können das zwar auch. Aber mein neues Material besteht aus nachwachsenden Rohstoffen, hat von vorneherein keinen CO2-Fußabdruck und am Ende einen nur sehr geringen. So stellt das Recycling kein Problem für die Umwelt dar. Ein anderes Material, das uns sehr beschäftigt, ist Leder.

Inwiefern?

Leder hat eine ungünstige CO2- und Wasser-Bilanz. Es wird oft mit Chrom gegerbt und dünstet dadurch Schadstoffe aus. Wenn wir es ersetzen wollen, brauchen wir ein luxuriöses neues Material, das aber den Anforderungen für einen Autositz gerecht werden muss, Atmungsaktivität, Reinigungsfähigkeit und trotzdem Modernität bieten soll. Dafür arbeiten wir auch mit Start-ups zusammen. Eines stellt zum Beispiel aus Apfeltrester, also Pressrückständen von der Apfelsaftherstellung, Kunstleder her. Aber es müssen Polymere zugemischt werden. Das heißt, man hat immer noch zu 80 Prozent das gleiche Material wie bei Kunstleder. Also suchen wir, wo der Einsatz der nachwachsenden Rohstoffe am höchsten ist und wie die petrochemischen Stoffe reduziert werden können.

Textil wird das neue Leder werden. Man stellt heute Textilien aus Reziyklaten her – aus PET-Flaschen oder alten Fischernetzen. Bei dem künftigen Elektro-SUV i20 haben wir zum Beispiel Fischernetze verwendet, die zu 100% aus reinem Polyester bestehen. Sie werden zu Granulat verarbeitet und daraus wird wieder daraus neues Garn gesponnen. Im BMW i20 stecken solche Textilien im Himmel, Boden, Teppich und in den Fußmatten. Man kann es überall einsetzen. Wir versuchen zukünftig, überhaupt keine erdölbasierten Textilien mehr im Auto zu verwenden, sondern nur noch Rezyklate.

© BMW

Also sind Rezyklate die neuen Rohstoffe?

Wir wollen zirkulär werden und am Ende des Tages auch das Auto wieder recyceln. Deshalb wollen wir Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen nutzen. Wenn ich die Sitzbezüge am Schluss schreddern und daraus neues Material machen will, muss ich mir vorher genau überlegen, welche Materialien ich verwenden kann. Aus Buchenholz zum Beispiel kann man tolles Garn machen. Viele haben Kleidung aus Lyocell im Schrank. Ich liebe das Material. Aber man kann es nicht mehr recyceln, weil es kurzfaserig wird. Hier wäre der zirkuläre Prozess dann unterbrochen. Am besten recyceln lässt sich Polyester beziehungsweise Plastik. Trotzdem ist es erstrebenswert, sich alles genau anzusehen und dann abzuwägen, welches Material auf welchem Bauteil sich am Besten darstellen lässt.

Das hört sich an, als müsse man das Autodesign völlig neu konzipieren.

Ja, komplett. Wir kommen aus der evolutionären Gestaltung in eine revolutionäre Gestaltung. Und es verändert das Unternehmen radikal, weil nicht nur die Prozesse in der Fahrzeuggestaltung anders gedacht werden müssen. Die Auswahl der Materialien wird anders gedacht, die Werke werden anders konzipiert. Die Produktionslinien werden anders gestaltet, die Transporte anders organisiert. Das ist eine holistische Transformation eines Unternehmens.

Das klingt nach sehr hohen Investitionen. Lohnt sich der Aufwand für Nachhaltigkeit dann überhaupt?

Ja, Nachhaltigkeit ist die Absicherung der Zukunft. Zum einen wird es in den nächsten 40 bis 50 Jahren gewisse Materialien und Ressourcen nicht mehr im gleichen Umfang wie jetzt geben. Zum anderen trägt ein Unternehmen ökologische Verantwortung in der Gesellschaft und auch weltweit. Nachhaltigkeit hat immer drei Säulen: ökologisch, ökonomisch und sozial. Wenn Sie das Ökonomische nicht betrachten, dann können Sie die zwei anderen Säulen auch nicht bedienen. Deshalb muss aus meiner Perspektive jedes Unternehmen in diese Transformation gehen, um relevant zu bleiben. Sonst sind die Unternehmen auch nicht mehr glaubwürdig gegenüber den Kunden. Und ich sage Ihnen ehrlich: Die Ziele, die man uns setzt, lassen uns schwitzen.

Sie sprechen jetzt von den CO2-Zielen?

Auch. Ebenso die Rezyklatziele, die wir ausgesprochen haben. Das stellt uns vor Herausforderungen, weil die Märkte draußen noch nicht so weit sind. Wenn ich sage, ich möchte jetzt zu 40 Prozent Rezyklate einsetzen, gibt's die gar nicht auf dem Weltmarkt. Ein Beispiel dafür, wie sich das ganze Recyclingsystem verändert hat, ist die Textilindustrie. Heute haben die großen Unternehmen der Branche wie H&M oder Zara Recyclingsysteme. Also hat man schon viel mehr Material zur Verfügung. Das war vor 15 Jahren noch anders.

Das heißt, dass ich Kleider, die ich zum Beispiel bei H&M zurückgebe, vielleicht in meinem neuen Auto wiederfinde?

Theoretisch kann ich Rezyklat kaufen, das aus einem Textil stammt, wenn ich Baumwolle will. Wir prüfen schon alle möglichen Quellen für Kunststoffe, Metalle, Aluminium. Wir schließen uns mit großen Herstellern aus anderen Branchen zusammen und bauen Recycling-Verbünde auf. Partner stammen aus der Luftfahrt, der Industrie für Gebrauchsgüter oder Computerhersteller, die große Materialabfälle generieren – Aluminiumabfälle zum Beispiel. Es ist ein großes Miteinander.

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