







Internationaler Tag der Menschen mit Behinderung
„Barrierefreie Mobilität ist wichtig, weil sie Wege öffnet, um am öffentlichen Leben teilzunehmen"
Wie fühlt sich Mobilität an, wenn man nicht sehen kann? Zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung spricht Claus Bernhard, zuständig für Barrierefreiheit beim Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund e.V. und Vorsitzender des Facharbeitskreises Mobilität im Behindertenbeirat der Stadt München, über alltägliche Barrieren, gelungene Beispiele der IAA MOBILITY – und darüber, warum echte Barrierefreiheit eine Frage von Respekt, Gleichberechtigung und gesellschaftlicher Offenheit ist.

IAA: Hallo Herr Claus, Sie sind beim Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund e.V. zuständig für Barrierefreiheit und Sie sind Vorsitzender des Facharbeitskreis Mobilität im Behindertenbeirat der Landeshauptstadt München. Was sind dort Ihre Aufgaben?
Bernhard Claus: Unsere Aufgaben im Facharbeitskreis sind Stellungnahmen, die an den Stadtrat gestellt werden, immer nach den Argumenten der Barrierefreiheit entweder zu unterstützen oder zu widersprechen. Dazu entwickeln und besprechen wir Standards der Barrierefreiheit im baulichen Bereich der Stadt. Das heißt, wenn Gebäude oder Straßen gebaut werden mit Übergängen, beraten wir: Wie sollen die Übergänge gemacht werden – ob als getrennte Querung, Doppelquerung oder 3 cm Linie oder Ampeln mit Orientierungstönen und Freigabetönen, also Akustik und so weiter.

IAA: Sie sind selbst blind. Wie haben Sie die Barrierefreiheit auf der IAA MOBILITY wahrgenommen?
Bernhard Claus: Genau, ich bin zu 100 Prozent blind und habe bei den Inklusionsrundgängen der IAA MOBILITY als Referent teilgenommen. Das Citizen Lab war annähernd barrierefrei, das Gleiche gilt für den Marienplatz. Auch als Rollstuhlfahrer, Sehbehinderter oder Blinder kam ich dort gut hin, wo ich hinwollte. Auch zu vielen Autoherstellern kam man sehr gut rein. Das war schon sehr gut gemacht.
IAA: Gibt es alltägliche Barrieren, wo Sie denken, dass Menschen ohne Behinderungen das gar nicht auffällt?
Bernhard Claus: Das ist zum Beispiel das Gehwegparken. Ich glaube, dass die Leute das gar nicht mitdenken. Sie stellen das Auto auf den Gehweg und der Fußgänger kann drumherum gehen. Dass aber mobilitätseingeschränkte Manschen wie Rollstuhlfahrer mit Gegenverkehr viel mehr Bewegungsfreiraum und Platz brauchen, daran denken viele nicht.
IAA: Wie könnte die Verkehrsplanung für mobilitätseingeschränkte Personen verbessert werden?
Bernhard Claus: Für alle Verkehrsteilnehmer fände ich eine Verbesserung, wenn man unter anderem Busspuren einführen würde, wo nur der öffentliche Personenverkehr und vielleicht Taxis fahren dürfen und alle anderen nicht. Ich weiß nicht, ob man da noch Eingrenzungen zwischen Elektrofahrzeugen und Benzinern machen sollte. Aber wichtig ist, dass der öffentliche Personennahverkehr eigene Spuren bekommt. Denn viele fahren zwar mit der U-Bahn in der Stadt, aber wenn es Schienenersatzverkehr gibt und man auf den motorisierten Individualverkehr ausweichen muss, steht man oft im Stau. Aber der Verkehr sollte sich nicht gegenseitig behindern. Insofern ist es wichtig, den ÖPNV noch besser auszubauen und attraktiver zu machen.
IAA: Die IAA MOBILITY hat dieses Jahr auch erstmals in Zusammenarbeit mit dem Behindertenbeirat Inklusionsrundgänge angeboten, um die Stadt aus einer neuen Perspektive zu erleben, und wie es sich anfühlt, unterwegs mit Gehörlosigkeit, Sehbehinderung und Rollstuhl zu sein. Wie haben Sie diese wahrgenommen?
Bernhard Claus: Wir haben bei den Inklusionsrundgängen auf dem Marienplatz gezeigt, wie man sich auf dem Marienplatz bewegen kann, wie ich zur U-Bahn komme und mit der U-Bahn fahre. Ich war hier Referent für den Inklusionsrundgang zum Thema Sehbehinderung und habe gezeigt, , wie das funktioniert, wenn man nichts sieht. Da haben sich unter meiner Anleitung dann Pärchen von sehenden und nicht sehenden Menschen gebildet und viele waren dann doch sehr erstaunt, was für Hindernisse es für Sehbehinderte dann doch gibt, an die sie nicht gedacht haben. Zum Beispiel der horizontale Spalt zwischen dem Bahnsteig und dem Einstieg an der U-Bahn. Oder dass sie so mit sich selbst beschäftigt waren, dass sie nicht mitgekriegt haben, dass die Durchsagen kamen, dass wir jetzt am Sendlinger Tor waren. Viele Teilnehmer haben mir später gesagt, dass sie jetzt ganz anders auf die U-Bahn oder auf den Marienplatz blicken, wenn sie Leute mit Langstock irgendwo rumlaufen sehen. Wenn viele Menschen beispielsweise drängeln und keine Rücksicht aufeinander nehmen, dann werden Sehbehinderte hin und her geschubst. Denn während ein Sehender immer ausweichen kann, kann das ein Blinder oder Sehbehinderter nicht.
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IAA: Was könnte die IAA MOBILITY hinsichtlich Barrierefreiheit in der nächsten Ausgabe verbessern?
Bernhard Claus: Man könnte die Ausstellung noch spezieller für Menschen mit Seheinschränkungen oder für Menschen mit einem Rollstuhl noch zugänglicher machen. Man könnte zum Beispiel noch deutlicher Alltagsautos zeigen und wie es möglich ist, dass man zum Beispiel ein Auto so entwickelt, dass ein Rollstuhlfahrer problemlos das Auto benutzen kann, dass der Platz da ist, dass er hinten den Rollstuhl vom Heck aus reinfahren kann oder dass er sich selbst als Rollstuhlfahrer hinter das Steuer setzt und der Rollstuhl eingepackt wird. Das sind alles Sachen, die in das Alltagsleben eines jeden Menschen passen würden.
IAA: Welche Rolle spielt die Digitalisierung und KI für barrierefreie Mobilität?
Bernhard Claus: Das wird immer besser. Auch im Auto sind wir schon lange bei Entwicklungen mit dabei, wenn es um Fußgängerwarnungen geht, also automatische Fußgängerwarnung an den Autos, dass an Signalanlagen, also an Ampeln, die Grünphase verlängert wird, wenn ein Mensch mit Behinderung kommt, der mehr Zeit braucht zum Überqueren der Straße. Und auch die künstliche Intelligenz ist sehr wichtig geworden. Das merke ich in all meinen Apps, die ich schon benutze, für meinen Alltag - zum Beispiel zur Erkennung von verschiedenen Joghurts. Genauso ist es mit der Erkennung im öffentlichen Verkehr, dass ich gucken kann, welche Häuser sind jetzt vor mir. Wenn ich zum Beispiel jetzt zum Hofbräuhaus will, dann kann ich ein Foto machen und dann kann die KI mir sofort übersetzen, dass ich gerade bereits vor dem Hofbräuhaus stehe, weil es das Hofbräuhaus erkennt. Denn ein Navigationsprogramm leitet einen zwar irgendwo hin und sagt einem, dass man das Ziel erreicht hat. Der Sehende sieht das dann auch. Für mich dagegen kann das Ziel, wenn es im Umfeld von 10 Metern ist aber, immer noch links, rechts, vorne oder sonst irgendwo sein. Und mit Hilfe der KI kann es genau bestimmen, dass ich auch den Eingang wirklich finde. Dafür ist es auf jeden Fall gut. Aber für die Sicherheit im Straßenverkehr und die Straße zu überqueren, sollte eine KI oder ein künstliches Gerät nicht da sein. Das sollte immer ohne Technik möglich sein, sich im Straßenverkehr zu bewegen, Straßen zu überqueren, Straßen entlangzulaufen und so weiter. Denn wenn eine Technik einmal ausfällt, dann kann ich am Verkehr nicht mehr teilnehmen.
IAA: Welche Innovationen in der Mobilitätsbranche würden Ihrer Meinung nach blinden Menschen oder anderen Menschen mit Behinderungen besonders weiterhelfen?
Bernhard Claus: Gute Navigationssysteme. Dass ich zu Fuß beispielsweise jetzt vom Bahnhof zur Münchner Freiheit komme. Dass ich eingebe, dass ich da hinkomme und dass das System mir dann sagt, dass ich mit der S-Bahn bis Marienplatz komme und dann umsteigen soll zur U-Bahn. Und dass er mir an jedem Ort auch beschreiben kann, wo ich lang gehen muss. Das ist eben noch nicht immer möglich. Sobald ich unter der Erde bin, ist es mit GPS nicht mehr möglich, also müsste das umswitchen. Wenn ich am Bahnhof beispielsweise Münchner Freiheit eingeben will, dann würde ich mir wünschen, dass es etwas geben würde, dass mir sagt, dass ich jetzt geradeaus gehen soll, dann nach links die Treppe runter, dann wieder geradeaus und das System mich so zur S-Bahn leitet. Da wünsche ich mir eine Navigation, die einen rundum navigiert.
Der Sehende schaut ja einfach auf Google Maps und weiß durch die Beschilderung in der Station, wie er dann schnell zur U-Bahn kommt. Als Blinder braucht man da eine genaue Beschreibung, weil ich sehe ja diese Schilder nicht, ich kann denen ja nicht folgen.

IAA: Wie wichtig ist es hierbei die Wahrnehmung von barrierefreier Mobilität noch stärker zu gestalten?
Bernhard Claus: Barrierefreie Mobilität zu gestalten ist sehr wichtig, denn es sind ja die Wege, um irgendwo hinzukommen und am öffentlichen Leben teilzunehmen, wie zum Beispiel ins Theater und ins Kino zu gehen oder Freunde zu besuchen oder einkaufen zu gehen. Das ist alles öffentliches Leben und wenn ich das barrierefrei nicht machen kann, dann mache ich es nicht, dann bleibe ich zu Hause und vereinsame. Das geht leider vielen Menschen so, weil sie sich draußen nicht zurechtfinden. Und deshalb ist es eben wichtig, dass die Umwelt barrierefrei ist, denn brauchen tut sie vielleicht irgendwann jeder. Denn wenn man älter wird, sieht man automatisch schlechter und man braucht diese Hilfen, die man früher als junger Mensch, als gesunder Mensch, nicht brauchte. Und deshalb ist es wichtig, Barrierefreiheit herzustellen, weil dann kann jeder am Leben teilnehmen, so wie er will und wie er kann und ist nicht immer auf andere Leute angewiesen, dass die einem helfen, ein Stück weit am öffentlichen Leben teilzunehmen. Zumal ein Schicksalsschlag jeden treffen kann. Ich bin ja durch einen Motorradunfall von einem Tag auf den anderen mit 22 Jahren erblindet. Das muss man erstmal psychisch überwinden und dann muss man sich irgendwann die Hilfen, die da sind und das, was man selbst kann, erarbeiten. Durch Mobilitätstraining, also Rehabilitation, lernt man dann wieder einiges oder vieles wieder zu machen.
IAA: Letzte Frage: Welche Botschaft haben Sie jetzt an einem solchen Tag, wie dem Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung?
Bernhard Claus: Ich würde mich freuen, wenn jeder über seinen eigenen Horizont hinausschauen könnte und es auch macht und nicht nur seine eigenen Probleme sieht, sondern gerade die der schwächsten Leute, der Menschen mit Behinderung, der mobilitätseingeschränkten Leute. Dass man diese Leute sieht und deren Probleme wahrnimmt, akzeptiert und auch etwas dagegen tut. Und sich an Regeln hält im Straßenverkehr. Dass man zum Beispiel nicht auf dem Gehweg parkt, die Rollerfahrer ihre Roller nicht auf dem Gehweg abstellen und so weiter. Also dass man immer an den anderen denkt, auch wenn man sieht, für mich ist das kein Problem, für den anderen kann das ein Problem sein. Das würde ich mir wünschen. Mehr Offenheit, mehr Sicht für das, was einen selbst nicht betrifft.
