Interview mit Wasilis von Rauch, Geschäftsführer des Wirtschaftsverbands Zukunft Fahrrad

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1. Was motiviert Sie dazu, an der IAA MOBILITY 2025 teilzunehmen? Und was erwarten Sie sich von Ihrer Teilnahme?

Die IAA will eine Mobilitätsmesse sein, das geht nur mit einer breiten Präsenz des Fahrrades. Dafür bin ich da. Schon 2023 hat mich mein Besuch und die Podiumsdiskussion mit dem VDA und dem VDV sehr bereichert. Mobilität ist vielfältig und spielt eine zentrale Rolle für gesellschaftliches Zusammenleben und unsere Wirtschaft – darüber rede ich gern mit den Spitzen anderer Wirtschaftsverbände. Das Fahrrad muss in dieser Vielfalt der Mobilität mehr Raum bekommen, gerade als E-Bike. Aber wir brauchen auch Bus und Bahn, Pkw und Fußverkehr. Menschen wollen die Wahl haben, wie sie unterwegs sind, Wahlfreiheit statt Abhängigkeit, darum geht es. Als Branchen haben wir durchaus gemeinsame wirtschaftliche Herausforderungen. Das gilt beispielsweise für die Zukunft der Mobilitätswirtschaft und die Transformation, die Digitalisierung und Elektrifizierung der Mobilität. Aber wir werden auch über Interessenskonflikte sprechen, etwa wenn es um Platz auf der Straße oder um Verkehrssicherheit geht.

Interview
mit Wasilis von RauchGeschäftsführer des Wirtschaftsverbands Zukunft Fahrrad

2. Welches Mobilitätskonzept inspiriert Sie derzeit am meisten – und warum?

Das E-Bike hat einen Innovationsboom in der Fahrradbranche ausgelöst, wir stecken mitten in der Transformation. Es ist fantastisch zu sehen, welchen Mehrwert dieser Schub für die Menschen bietet. Pendler:innen mit langen Wegen steigen aufs E-Bike, sind damit schnell und bleiben fit, Berge werden dank e-Motor ein Highlight, statt eine Last. Ältere Menschen können genussvolle Radtouren unternehmen oder einfach länger selbstbestimmt mobil bleiben. Anhänger und Cargobikes sind die 360 Grad-Lösung für Familienmobilität. Kurz: Die Einsatzmöglichkeiten des Fahrrads haben sich potenziert. Und wie das Auto wird auch das Fahrrad zunehmend digital und kann künftig sowohl mit Fahrer:innen als auch mit anderen Verkehrsmitteln kommunizieren. Hier sehe ich Potenziale für mehr Sicherheit im Straßenverkehr.

3. Welche Innovationen in Ihrem Fachgebiet werden in den nächsten fünf Jahren die Art und Weise, wie wir uns in Städten fortbewegen, am stärksten verändern?

Innovationen sind kein Selbstzweck, ihre Entwicklung ist kein Naturgesetz. Für mich ist die Frage: Was ist Ziel der Veränderung? Was brauchen Gesellschaft und Wirtschaft? Ich sage: Wir brauchen bedarfsgerechte und effiziente Mobilität. Gute Angebote für die vielfältigen Anlässe unterwegs zu sein. Lange Zeit war es am einfachsten, alles mit dem Auto zu machen. Heute ist das anders, Grund sind Innovationen. Die Digitalisierung beim Carsharing und von Fahrplänen und Tickets bei Bus und Bahn, sowie die Elektrifizierung beim Fahrrad machen diese Angebote attraktiver. Die Nachfrage ist stark gestiegen. In den nächsten fünf Jahren geht es darum, Bürgerinnen und Bürgern Angebote zu machen mit guten Radwegen, nahegelegenen Carsharing Stationen und vorbildlichen Bussen und Bahnen. Das ist Wahlfreiheit. Am Ende steht ein Versprechen für unsere Städte und Gemeinden, ob Garching, Dachau oder München: Platz, statt Parkplatz. Weniger Stau, effizienter Wirtschaftsverkehr, mehr Raum für Kinder, zum Joggen und spazieren und für florierenden Einzelhandel und Gastronomie.

4. Wie fördern Sie die Integration verschiedener Mobilitätsformen, um eine nahtlose und effiziente Verkehrs- und Mobilitätsinfrastruktur zu schaffen?

Im Bündnis nachhaltige Mobilitätswirtschaft, in dem neben dem Fahrrad auch Bahn, ÖPNV und Carsharing vertreten sind, setzen wir uns für die Einführung eines Mobilitätsbudgets ein. Viele Alltagswege hängen mit der Arbeit zusammen. An dieser Stelle durch Steuervorteile nachhaltige Mobilitätsoptionen zu fördern, ist daher eine wichtige Stellschraube. Mit einem Mobilitätsbudget können Arbeitgeber ihren Angestellten ermöglichen, verschiedene Verkehrsmittel flexibel zu nutzen. Dafür braucht es eine pauschale Besteuerung und einfache Abrechnungsmöglichkeiten. Die meisten Menschen wechseln je nach Bedarf zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln und es wäre ein echter Benefit, diese Flexibilität entsprechend zu fördern. Das derzeitige System ist völlig aus der Zeit gefallen, da müssen wir endlich aus dem lock-in, in dem wir wirtschafts- und steuerpolitisch verharren, ausbrechen.

5. Wie sehen Sie die Rolle öffentlich-privater Partnerschaften bei der Förderung innovativer Mobilitätslösungen?

Bikesharing ist ein wunderbares Beispiel. Es sollte privatwirtschaftlich organisiert sein, muss aber als Teil des öffentlichen Nahverkehrs konzipiert sein, damit es sich voll entfaltet. Die Verfügbarkeit von Leih-Fahrrädern vergrößert nämlich auch das Einzugsgebiet von Haltestellen massiv. Es liegt nahe, solche Angebote als Teil der öffentlichen Daseinsfürsorge zu behandeln. Der Umstieg von mehr Menschen aufs Rad entlastet nachweislich auch die Gesundheitssysteme. Jede Investition in Bikesharing-Systeme und Fahrradinfrastruktur rechnet sich also gleich mehrfach.

6. Was sind die größten Herausforderungen, denen Sie in Ihrem Segment derzeit gegenüberstehen – und wie gehen Sie damit um?

Die Nachfrage nach Fahrrädern und E-Bikes ist relativ stabil, auch wenn die letzten beiden Jahre der Druck auf die Preise hoch war. Viele Menschen sind verunsichert aufgrund der wirtschaftlichen Lage und daher zurückhaltender beim Konsum. Gleichzeitig konsolidiert sich die Branche, nachdem auf mehreren Boom-Jahre eine Phase mit schwächerer Entwicklung gefolgt ist. Die größte Wachstumsbremse bleibt aber die Infrastruktur: das Angebot passt nicht zur Nachfrage, Radwegeverbindungen fehlen, sind in schlechtem Zustand. Viele Menschen fühlen sich auf dem Fahrrad unwohl, natürlich fahren sie dann weniger. Niemand will sein Kind auf der Fahrbahn einer Landstraße oder Hauptverkehrsstraße zur Schule fahren lassen. Dieser Zustand hemmt auch den Absatz und die Entwicklung unserer Branche. Hier müssen Bund, Länder und Kommunen aktiv werden. Nicht nur für die Fahrradwirtschaft, sondern auch im Sinne der Wahlfreiheit, Verkehrssicherheit und des Klimaschutzes.

7. Welches zentrale Zukunftsthema erhält Ihrer Meinung nach zu wenig Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit?

Spannend wird sein zu sehen, wie sich autonomer Kfz-Verkehr auf den Radverkehr auswirkt. Viele Autofahrende sind zu schnell unterwegs und Verstöße gegen die Verkehrsregeln gefährden ungeschützte Verkehrsteilnehmer. Durch automatisierte Steuerung müsste sich Kfz-Verkehr an Verkehrsregeln halten, was zu deutlich besseren Bedingungen für Radverkehr führen kann. Neben allen Bedenken am autonomen Fahren liegen hier auch Chancen für alle Verkehrsteilnehmer:innen, die noch zu wenig beachtet werden.

Ein weiteres Thema, das zu wenig Beachtung findet, ist der Zusammenhang von Mobilität und Gesundheit. Unser Gesundheitssystem kollabiert absehbar nicht zuletzt aufgrund von Inaktivität und Bewegungsmangel in der Bevölkerung. Wer aktiv zu Fuß oder mit dem Rad mobil ist, hat das Fitnessstudio schon in der Tasche. Fahrradförderung kann auch aus Mitteln der Prävention und Gesundheitsförderung finanziert werden.

8. In welchem Bereich der Mobilität sehen Sie das größte Potenzial – und wo den größten Verbesserungsbedarf?

Ich sehe außerdem ein enormes Potenzial darin, verschiedene Verkehrsmittel besser miteinander zu verknüpfen. Fahrrad, Bus, Bahn, Carsharing – all das muss zusammenspielen, wenn Mobilität in Zukunft wirklich für alle attraktiv sein soll. Es müssen noch einige Hürden für die flexible und sichere Nutzung abgebaut werden, damit mehr Menschen echte Wahlfreiheit für ihren optimalen Mobilitätsmix haben. Da sehe ich großen Handlungsbedarf. Für Quick Wins hat das größte und schnellste Wachstumspotenzial die schnelle Umwidmung von Flächen für Radwege, Pop-Up Radwege auf Kfz-Spuren oder Parkflächen. Das ist billig und die Nachfrage ist da. Über 70 Prozent der Alltagswege lassen sich bequem mit dem E-Bike machen.  

9. Die IAA MOBILITY ist die führende globale Mobilitätsplattform und vereint Innovatoren aus allen Bereichen der Mobilität. Mit wem möchten Sie im kommenden September in Kontakt treten – und warum?

Ich freue mich auf den Austausch mit den verschiedenen Branchen, aber vor allem mit der Politik – man kann Herausforderungen der Zukunft nicht mit Rezepten aus der Vergangenheit lösen. Die Fahrradwirtschaft ist der Inbegriff moderner Mobilität und ein starker Standortfaktor. Das ist noch nicht von allen verstanden worden.

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