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„Wir brauchen eine neue Perspektive“

Planen wir unsere Straßen auf die richtige Art und Weise? Oder könnten wir die öffentlichen Räume deutlich besser nutzen? Diese und ähnliche Fragen stellt sich Marco te Brömmelstroet seit vielen Jahren.

Planen wir unsere Straßen auf die richtige Art und Weise? Oder könnten wir die öffentlichen Räume deutlich besser nutzen? Diese und ähnliche Fragen stellt sich Marco te Brömmelstroet seit vielen Jahren.

Mobilitätsexperte Marco te Brömmelstroet

Der Niederländer ist Inhaber des Lehrstuhls für Urban Mobility Futures an der Universität von Amsterdam und befasst sich dementsprechend mit der Zukunft unserer Mobilität. Sein Ansatz: Neue Denkstrukturen entwickeln, die einen anderen Blickwinkel auf unser derzeitiges Mobilitätsverhalten werfen – und dieses kritisch hinterfragen. In seinem neuen Buch „Movement: How to take back our streets and transform our lives“ macht er gemeinsam mit der Journalistin Thalia Verkade genau das. Im Interview sprachen wir mit te Brömmelstroet über seine Sicht auf die Mobilität der Gegenwart, die seiner Ansicht nach größten Baustellen – und seine Vision für die Zukunft.

Herr te Brömmelstroet, Sie haben vor kurzem das Buch „Movement: How to take back our streets and transform our lives“ veröffentlicht. Worum geht es darin genau?

Marco te Brömmelstroet: Prinzipiell geht es darum, dass wir es heutzutage für selbstverständlich halten, dass die Straßen vor unseren Häusern nur dazu da sind, um von A nach B zu kommen – mehr nicht. Aber was passiert, wenn wir hier radikal anders denken? Was würde passieren, wenn wir diese öffentlichen Räume anders nutzen? Könnten wir unser Leben dadurch möglicherweise verbessern? In dem Buch beschäftigen sich meine Journalistenkollegin Thalia Verkade und ich genau mit diesen und ähnlichen Fragen – und kommen am Ende immer zu einem Kernthema: Wem gehören unsere Straßen?

Bevor wir uns auf Antwortsuche begeben: Wie würden Sie den derzeitigen Zustand unserer Mobilität beschreiben?

te Brömmelstroet: Die Mobilität ist zu einem Schlüsselbeispiel für einen entpolitisierten Bereich geworden. Was ich damit meine, ist, dass unsere Mobilität nur von einer kleinen Gruppe von Expertinnen und Experten optimiert wird. Stattdessen ist dieses Thema aber eigentlich so konfliktreich, dass es in einem viel größeren Rahmen in der Gesellschaft diskutiert werden sollte. Es doch so: Durch gewisse Entscheidungen, die von diesen Expertinnen und Experten in der Vergangenheit getroffen wurden, wurden unsere öffentlichen Räume so gestaltet, dass Geschwindigkeit und Komfort für die einzelne Verbraucherin und den einzelnen Verbraucher optimiert wurden. Die Konsequenz davon ist, dass wir heute überhaupt nicht mehr wissen, wie wir diese Räume eigentlich anders nutzen könnten.

Wie meinen Sie das?

te Brömmelstroet: Schauen Sie: Unsere öffentlichen Räume sind so gestaltet, dass wir der Utopie hinterherlaufen, ultimativ viel Zeit einzusparen. Aber schaffen wir das wirklich? Denn wenn wir ehrlich sind, bleibt die Reisezeit in etwa die gleiche – nur die Distanzen werden länger. Empirische Daten zeigen nämlich, dass die menschliche Reisezeit über die Zeit gesehen viel konstanter ist, als man es aufgrund der vielen technischen Innovationen erwarten würde. Grundsätzlich gehen wir ja davon aus, dass der Einzelne Reisezeit einsparen kann, wenn wir ihm erlauben, schneller, billiger und bequemer von A nach B zu reisen. Die vermeintlichen Erleichterungen der Mobilität haben aber genau das nicht geschafft. Stattdessen haben sie zu einem unglaublichen Anstieg der Entfernungen geführt, die die Menschen nun für dieselben Aktivitäten zurücklegen müssen. Das hat zwar einige Vorteile – man denke nur an die Wirtschaft – im Endeffekt macht diese Entwicklung aber die Gesellschaft abhängig und süchtig nach schnellen Formen der Mobilität. Und das mit all ihren negativen Folgen.

Aktuelles Buch von Marco te Brömmelstroet

Ist eine negative Folge, dass wir Menschen immer egoistischer werden, wenn es um unsere Mobilität geht?

te Brömmelstroet: In den derzeitigen Modellen der Verkehrstechnik sind wir das – ja. Der Mensch wird als Homo oeconomicus vereinfacht: egoistische, berechnende, kalte Individuen, die ihren persönlichen Nutzen optimieren. Folglich sprechen wir auch so über ihn, treffen Entscheidungen und gestalten letztlich auch unsere Straßen nach diesem Prinzip. Zum Beispiel wird die individuelle Reisezeit als etwas Negatives angesehen. Etwas, das zwischen A und B liegt und daher minimiert werden sollte. Jede Verzögerung für einen Einzelnen ist ein unmittelbares Problem, das die Gesellschaft lösen muss. Jede Interaktion mit anderen egoistischen Individuen wird als Konflikt definiert. Deshalb glaube ich, dass wir durch die Verkehrstechnik der letzten Jahrzehnte dazu beigetragen haben, dass die Menschen egoistischer geworden sind.

Wo werden wir landen, wenn wir so weitermachen?

te Brömmelstroet: Wir arbeiten weiter auf diese Utopie der ultimativen Reisezeitersparnis hin – und verlieren immer mehr den Blick für das Wesentliche. Es gibt aber auch Anzeichen dafür, dass das derzeitige technokratische Denken Risse bekommt. Beispiele aus der Verkehrsplanung aus Städten wie Groningen, Barcelona und Paris zeigen, dass es auch Alternativen in Sachen Mobilität geben kann, wo der Mensch im Mittelpunkt steht.

Was ist Ihre Vision für die Zukunft der Mobilität?

te Brömmelstroet: Wir brauchen eine neue Perspektive, einen breiteren Blickwinkel. Ich wünsche mir einen Austausch verschiedener Bereiche, wenn es um unsere Verkehrsplanung geht: Ökologen, Psychologen, Soziologen – und nicht nur den derzeitigen Fokus auf Technologie und Technik. Zudem wünsche ich auch mehr Diskussion in unserer Gesellschaft. Auch Veranstaltungen wie die IAA sollten direkter und offener mit verschiedenen Ansichten umgehen – und eine Plattform für diese Debatten bieten.

Und welche Rolle spielen Fahrräder und Autos in dieser Vision?

te Brömmelstroet: Sie dienen beide einem jeweiligen Zweck. Und damit meine ich nicht nur den Zweck, eine Person von A nach B zu bringen, sondern auch beispielsweise ihre Rolle: Radfahrer und Fußgänger passen einfach besser in Räume, in denen es einen Austausch zwischen den Menschen gibt. Räume, in denen es spielende Kinder gibt, in denen eingekauft wird und Räume, in der wir unsere Freizeit verbringen. Im Grunde genommen Orte, an denen wir leben. Das Auto passt viel besser in eine Infrastruktur außerhalb der Städte und weit weg von unserem täglichen Lebensraum. Diese Diskussion gab es übrigens auch schon in den 1920er-Jahren, als die Massenproduktion von Autos begann. Hierzu empfehle ich die Bücher „Fighting Traffic“ und „Autonorama“ von Peter Norton.

Was wäre die größte Herausforderung auf dieser Reise?

te Brömmelstroet: Ich würde sagen, dass der derzeitige Stillstand die größte Herausforderung ist. Wir haben eine selbstverständliche technokratische Sichtweise auf unsere Mobilität, die in Richtlinien, Normen, Modellen und Institutionen wie der IAA verfestigt ist. Verfestigt in Beton, Asphalt und Stahl. Und vor allem: verfestigt in unserer Vorstellungskraft. Diese Sichtweise müssten wir als Gesellschaft also erst einmal aufbrechen.

Herr te Brömmelstroet, vielen Dank für das Gespräch.

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