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Wenn Reifen reifen

Moderne Fahrradreifen erfüllen eine ganze Reihe scheinbar widersprüchlicher Anforderungen. Und die Tüftler sind längst noch nicht am Ende mit ihren Ideen. Foto: © Schwalbe

Moderne Fahrradreifen erfüllen eine ganze Reihe scheinbar widersprüchlicher Anforderungen. Und die Tüftler sind längst noch nicht am Ende mit ihren Ideen. Foto: © Schwalbe

Fahrradreifen und Schlauch zählen zu den wichtigsten Teilen des Fahrrads. Sie haben großen Einfluss auf die Fahreigenschaften und die -sicherheit. In den letzten Jahren haben sich die eigentlich unauffälligen schwarzen Gummis enorm weiterentwickelt. Unter anderem haben die Tubeless-Technik und die Digitalisierung dafür gesorgt, dass die Leistungsfähigkeit von Reifen und Schläuchen extrem gestiegen ist.

Wenn man auf dem Fahrrad dahingleitet, die Sonne einem ins Gesicht scheint, die Landschaft vorbeizieht und der Rückenwind noch extra anschiebt, dann haben Reifen und Schlauch einen großen Anteil daran, wie leicht das Fahrrad oder E-Bike rollt. Leichte Schläuche und Reifen mit geringem Rollwiderstand scheinen das Fahrrad anzuschieben, schwere Reifen mit viel Profil bremsen das Rad dagegen deutlich spürbar aus.

Vom Holzrad zum Gummireifen

Die ersten Fahrräder vor 135 Jahren waren noch mit Holzrädern unterwegs, ebenso wie die ersten Autos, die wie Pferdekutschen aussahen. Charles Goodyear, John Dunlop und Édouard Michelin trugen um das Jahr 1900 dazu bei, dass an Fahrrädern heute Reifen aus Gummi Standard sind. Ihre Namen verbinden wir mit den wichtigen Reifen-Produzenten. Zur selben Zeit entwickelte Continental als erster deutscher Hersteller den Fahrrad-Luftreifen.

100 Gramm merken nicht nur Profis

Am Prinzip der Bereifung am Fahrrad hat sich seitdem nichts Grundsätzliches geändert: Der sogenannte Drahtreifen besteht aus einer Karkasse, die an beiden Seiten des Reifens einen Wulstkern umschließt. Wulstkern und Karkasse bestanden ursprünglich immer aus Draht, daher der Name Drahtreifen. Bei sehr hochwertigen Reifen bestehen Karkasse und Wulstkern heute aus leichterem, geschmeidigem Kevlar. Dieses Material ist sogar faltbar, darum nennt man diese Spezialform des Drahtreifens auch Faltreifen. 

Auf der Karkasse wird die Lauffläche aus Gummi aufgebracht, bei den meisten aktuellen Fahrradreifen sitzt direkt auf der Karkasse, unter dem Gummi, auch noch eine durchstichfeste Pannenschutzschicht. Sowohl bei der Pannenschutzschicht als auch bei der Lauffläche hat sich in den letzten Jahrzehnten extrem viel getan. Die Pannschutzschichten wurden immer stabiler, dabei trotzdem leichter und geschmeidiger, um den Rollwiderstand nicht zu beeinträchtigen. 

Die Gummimischung eines Fahrradreifens gleicht fast schon Alchemie, denn sie muss eigentlich unvereinbare Anforderungen erfüllen: Sie soll leicht rollen, dabei sicheren Halt (Grip) bieten, möglichst langlebig sein und dabei natürlich noch möglichst wenig wiegen. Um all das unter einen Hut zu bringen, bestehen die Laufflächen moderner Fahrradreifen heute aus bis zu drei verschiedenen Kautschuk-Mischungen (auch Compounds genannt, daher sprich man dann auch von Dual- oder Triple-Compound-Reifen). Auf der Karkasse (und über der Pannenschutzschicht) sitzt eine Trägermischung, darüber auf der Lauffläche eine abriebfestere, leicht rollende Mischung, seitlich eine weniger gut rollende, dafür griffigere Mischung für guten Halt in Kurven. All diese Innovationen sind beachtlich – und in der Praxis erfahrbar.

Am offensichtlichsten sind allerdings die Entwicklungen beim Gewicht, denn unterm Strich wurden hochwertige Reifen im Laufe der Jahre immer leichter. Da Reifen, Schlauch und Laufrad eine rotierende Masse bilden, sind selbst 80 oder 100 Gramm weniger Gewicht hier für den Fahrer deutlich spürbar. Und zwar nicht nur für Profis, sondern eben auch beim eingangs beschrieben entspannten Dahingleiten.

Je nach Einsatzzweck müssen Fahrradreifen eine Menge aushalten. © Schwalbe

Fahrrad sucht Schlauch

Mit dem Drang nach Gewichtsreduktion, besserem Pannenschutz und geringerem Rollwiderstand wurde auch der Tubeless-Reifen entwickelt – genauer gesagt: Aus dem Automotive-Bereich übertragen. Tubeless-Systeme am Fahrrad kommen, wie bei Auto und Motorrad üblich, ohne Schlauch aus, der Reifen besitzt innen eine luftundurchlässige Schicht und sitzt luftdicht auf der Felge. Das bringt gleich mehrere Vorteile: Ohne Schlauch spart man nicht nur bis zu 100 Gramm pro Laufrad, es entfällt auch die Reibung zwischen Schlauch und Reifen beim Abrollen, so verbessert sich der Rollwiderstand signifikant.

Allerdings erfordert das spezielles Material: Reifen und Felge müssen Tubeless-tauglich sein. Die Anschaffung ist teurer, und die Montage etwas anspruchsvoller als bei der bewährten Paarung aus Reifen und Schlauch. So bieten manche Hersteller die Tubeless-Technologie auch nur für Mountainbikes an, weil hier die Reifen voluminöser sind als bei Stadt- oder Rennrädern, was die Montage einfacher macht. Zudem ermöglicht die Tubeless-Technologie sehr geringen Luftdruck unter zwei Bar, was vor allem bei Geländefahrten von Vorteil ist, denn hier steht hoher Grip im Fokus. Fährt man auf Asphalt, also mit dem Rennrad oder Urban-Bikes, hat geringer Rollwiderstand Priorität, diese Fahrräder werden mit vier bis sieben Bar Luftdruck gefahren.

Weiterer Tubeless-Vorteil: Dieses System ist besonders pannensicher. Denn die Reifen werden mit 20 bis 60 Milliliter einer speziellen Dichtmilch gefüllt, die bei einem kleinen Durchstich das Loch sofort wieder schließt. Allerdings muss diese Dichtmilch circa alle sechs Monate erneuert werden muss.

Der Schlauch wird noch leichter – und digital

Angetrieben von der Tubeless-Technologie wurden auch Fahrradschläuche weiterentwickelt. Zum Beispiel gibt es fast jeden Schlauch auch in einer „light“-Version, die je nach Modell bis zu 100 Gramm leichter ist. Hersteller experimentieren auch mit anderen Werkstoffen, um das Gewicht zu reduzieren und den Rollwiderstand zu verringern. So wurden vor rund 15 Jahren Schläuche aus Latex populär, die sowohl beim Gewicht als auch beim Rollwiderstand massive Vorteile gegenüber dem herkömmlichen Butyl-Schlauch besitzen. Allerdings stellte sich heraus, dass Latex mit der Zeit spröde wird und so ein Schlauch im schlimmsten Fall platzen kann – darum haben auch fast alle Anbieter Latex-Schläuche aus ihrem Sortiment gestrichen.

Ein neuer Ansatz ist der vom deutschen Schlauch-Experten Schwalbe herausgebrachte Schlauch aus Aerothan. Das Leichtgewicht unter den Schläuchen wiegt je nach Ausführung nur 41 Gramm. Der österreichische Hersteller Tubolito hat einen Schlauch aus Thermoplast, einem Kunststoff, in auffälligem Orange herausgebracht, der 33 Gramm leicht ist und trotzdem robust sein soll.

Turbolito

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Eine weitere Innovation, die die Österreicher mit vorangetrieben haben, ist die Digitalisierung der Druckmessung. Tubolito hat einen Schlauch im Programm, der mit einem leichten NFC-Chip versehen ist, wie man ihn von Bankkarten kennt. Über den NFC-Chip lässt sich der Reifendruck mithilfe einer App auslesen. Nicht ganz so unauffällig ist der Airspy von SKS aus dem Sauerland. Hier übermittelt ein Ventilaufsatz Echtzeitdaten an eine App, sodass der Druck während der Fahrt angezeigt werden kann. Ein kleiner Vorteil gegenüber dem Tubolito.

Auch wenn es im Fahrrad-Alltag gar nicht groß auffällt: Reifen und Schlauch haben in den letzten Jahren einen enormen Entwicklungsschub bekommen. Ein Schub, der auf dem Fahrrad mehr Tempo bedeutet.

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