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E-Scooter: Mit Regeln gegen den schlechten Ruf

E-Scooter haben sich im Straßenbild europäischer Großstädte etabliert. Dennoch spalten die elektrischen Flitzer weiterhin vielerorts die Gemüter. Wie Anbieter, Infrastrukturplaner und Stadtverwaltungen versuchen, die Roller nachhaltig im urbanen Mobilitätsmix zu verankern, zeigt sich am Beispiel der schwedischen Hauptstadt Stockholm.

„Auf den Straßen muss Ordnung herrschen. Die Zeit der Spielerei ist vorbei.“ Mit diesen harten Worten stellte der schwedische Infrastrukturminister Tomas Eneroth in diesem Sommer ein neues Gesetz vor, um das Betreiben und das Nutzen von E-Scootern neu zu regulieren. Seit 1. September ist in den schwedischen Städten – allen voran in der Hauptstadt Stockholm – nicht nur das Befahren von Gehwegen mit E-Scootern verboten, sondern auch das Parken. Abgestellt werden dürfen die elektrischen Roller demnach nur noch in speziell dafür ausgewiesenen Flächen, im Straßenverkehr selbst sind sie dem Fahrrad gleichgestellt. „Diese neuen Regeln werden die Sicherheit verbessern – insbesondere die Sicherheit derjenigen, die auf Bürgersteigen gehen“, fügte Eneroth seiner Erklärung hinzu.

Der schwedische Vorstoß ist bei weitem nicht der erste Versuch in Europa, den immer beliebter werdenden E-Scootern einen gesetzlichen Rahmen zu geben. In Rom wurden zuletzt starke Geschwindigkeitsregulierungen eingeführt und die Anzahl der Betreiber reduziert. Auch Paris legte im vergangenen Sommer Zonen mit GPS-gesteuerten Speed-Limits fest. Und die Behörden in Helsinki untersagten nach einer Reihe von Unfällen durch Betrunkene ein Ausleihverbot von E-Scootern an bestimmten Abenden nach Mitternacht. Der Tenor aller Regulierungsversuche ist dabei immer der gleiche: Mit großer Mühe suchen die jeweiligen Stadtverwaltungen nach Möglichkeiten, E-Scooter in das urbane Mobilitätsangebot einzubinden – ohne dabei die Vorzüge der Elektroflitzer zunichtezumachen.

Wenn Mobilität die Gesellschaft spaltet

„Wenn man sich Umfragen anschaut, dann spalten E-Scooter die Gesellschaft: Entweder man liebt sie oder man hasst sie. Und genau das macht die Situation für die Städte so schwierig“, erklärt Johan Sundman. Als Projektleiter der Stockholmer Verkehrsbehörde versucht er, den goldenen Mittelweg für Betreiber, Menschen und die Stadt zu finden. „Wir sehen die guten Seiten der Scooter – etwa, dass sie dabei helfen, die letzte Meile schneller zurückzulegen oder den öffentlichen Verkehr zu entlasten. Gleichzeitig gibt es aber auch die negativen Seiten – etwa auf den Gehwegen herumliegende Fahrzeuge oder Nutzerinnen und Nutzer, die sich nicht an die Regeln halten und viel zu schnell durch verkehrsberuhigte Bereiche rasen“, fährt er fort.

Stockholm ist dabei ein Paradebeispiel für die rasante Etablierung von E-Scootern in den europäischen Metropolen: Nachdem es im Jahr 2018 gerade einmal 300 Elektroroller in der knapp eine Million Einwohnerinnen und Einwohner umfassenden Hauptstadt gegeben hatte, stieg diese Zahl Sommer für Sommer sprunghaft an. „2021 hatten wir dann zu Spitzenzeiten stolze 24.000 Leih-Scooter in der Innenstadt – das war der Punkt, an dem es der Politik zu viel wurde“, erzählt Sundman. In einer ersten Regulierungswelle wurde daher die Gesamtzahl der Scooter in der Stadt auf 12.000 Roller limitiert sowie das Genehmigungsverfahren für die Betreiber verschärft. In diesem Jahr folgte dann das seit September gültige Scooter-Gesetz. Für Sundman sind entsprechende Regulierungen der richtige Weg, um die Roller nachhaltig im Verkehrsbild der Stadt zu etablieren: „Auch wenn sie zuerst mit Einschränkungen einhergehen, so helfen sie, die skeptischen Stimmen zu besänftigen. In Stockholm gibt es heute weniger Kritik als noch vor zwei Jahren und deutlich öfter positives Feedback.“

Wie die Betreiber reagieren

Eine Firma, die den Scooter-Trend in Stockholm von Anfang an mitgestaltet hat, ist Voi. Nachdem man in der schwedischen Hauptstadt im August 2018 die erste Scooter-Flotte auf die Straßen gebracht hat, sind die orange lackierten Scooter heute in mehr als 100 Städten in elf europäischen Ländern aktiv. „Wir glauben seit dem ersten Tag an einen kooperativen Ansatz. Wir haben uns für ausgewogene Regelungen eingesetzt, insbesondere für Ausschreibungen, da wir der festen Überzeugung sind, dass dies der einzige Weg ist, um einen nachhaltigen Service für Einwohnerinnen, Einwohner, Städte und Betreiber zu gewährleisten“, erklärt Kristina Hunter Nilsson, Kommunikationsverantwortliche bei den Schweden.

In der Tat hat man bei Voi mit gleich mehreren Maßnahmen auf die neuen Regelungen reagiert. Ende August wurden so die Nutzerinnen und Nutzer in einer eigenen E-Mail-Aussendung über die bevorstehenden Änderungen informiert. Außerdem wurden die neuen Parkzonen grafisch in der Voi-App hervorgehoben. Mittels des Features „Find Parking Spot“ wurde zudem eine Funktion implementiert, die dabei helfen soll, den nächsten Scooter-Parkplatz zu finden. Zudem verlangt man inzwischen von den Userinnen und Usern Fotos ihrer abgestellten Fahrzeuge in der App hochzuladen – um das korrekte Parken zu dokumentieren. „Wir wollen die Mobilität verbessern, nicht behindern. Mit einer guten Parkinfrastruktur stehen Elektroroller niemandem im Weg und können Fußgänger und anderen Verkehr sicher und reibungslos passieren lassen“, sagt man beim Betreiber.

Investitionen von den Städten?

Ähnlich sieht man die Situation auch beim deutschen Rollvermieter Tier Mobility. Die blau-türkisen Tier-Flitzer sind inzwischen in 540 Städten in 33 Ländern unterwegs. Auch in Stockholm ist der Betreiber aktiv. „In vielen Städten werden eine Begrenzung der Anzahl von E-Scootern oder bestimmte Regelungen für Parkplätze oder Sondernutzungsgebühren diskutiert oder sind bereits umgesetzt worden. Generell sind wir dafür, dass Städte und Gemeinden zum Beispiel die Möglichkeit in Betracht ziehen, ein Auswahlverfahren zu starten und in Zukunft Lizenzen an einen oder mehrere Anbieter zu vergeben. Das Ziel sollte sein, den besten Anbieter auszuwählen und damit die höchste Qualität für die Nutzerinnen und Nutzer und eine optimale Zusammenarbeit mit der Stadt zu gewährleisten“, sagt Florian Anders, Head of Corporate Communications bei den Deutschen.

Er weist allerdings auch darauf hin, dass diese Zusammenarbeit von beiden Seiten notwendig ist – etwa im Hinblick auf den rechtzeitigen und umfassenden Auf- und Ausbau der dringend benötigten Infrastruktur. „Nur mit einer ausreichenden Anzahl von Abstellplätzen für E-Scooter, Fahrräder und Lastenräder sowie gut ausgebauten Radwegen kann die Mikromobilität optimal in den städtischen Mobilitätsmix integriert werden“, meint er und verweist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass man er es als nicht als sinnvoll erachte, die Anzahl der E-Scooter bei einer gleichbleibenden Anzahl von Anbietern zu begrenzen. „Dem Beispiel anderer europäischer Städte wie Paris, Oslo, Rom oder London folgend, sollte das Ziel darin bestehen, in einem Auswahlverfahren die Anbieter mit den höchsten Standards und dem qualitativ besten Angebot zu lizenzieren. Dadurch können nicht nur hohe Sicherheits- und Nachhaltigkeits-Standards eingehalten, sondern auch die Abdeckung und Versorgung in den Randgebieten der Städte sichergestellt werden“, so Anders.

Shared Mobility als Zukunftsvision

Unabhängig der Regulierungen zeigen verschiedene Studien seitens der Städte und der Hersteller, dass die positiven Auswirkungen von E-Scootern auf die urbane Mobilität messbar sind. Bei Tier hat man etwa in einem kürzlich durchgeführten „Citizen Research Projekt“, bei dem über 8.000 Menschen in verschiedenen Städten befragt wurden, festgestellt, dass durchschnittlich 17,3 Prozent der Scooter-Rides Autofahrten ersetzen. „E-Scooter sind eindeutig eine nachhaltige Option im städtischen Verkehrsmix und können, indem sie das Auto ersetzen und die öffentlichen Verkehrsnetze ergänzen, zur Dekarbonisierung des städtischen Verkehrs beitragen“, sagt Anders. Er verweist auf eine Studie des Internationalen Transport Forums (ITF): Diese geht davon aus, dass aktive Mobilität, Mikromobilität und geteilte Mobilität bis 2050 fast 60 Prozent im städtischen Verkehrsmix ausmachen müssen, um die Nachhaltigkeit des Verkehrssystems zu erhöhen.

Dass E-Scooter ihren festen Platz im urbanen Mobilitätsmix der Zukunft haben können – das glaubt unterdessen auch Johan Sundman von der Stockholmer Verkehrsbehörde. Derzeit gebe es – je nach Wetter – 25.000 bis 50.000 Scooter-Fahrten in der Stadt pro Tag. „Die Hälfte davon ersetzt unseren Erfahrungen nach Fußwege. Die andere Hälfte ersetzt allerdings Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder kurze Taxistrecken“, berichtet er. Er hofft, dass der Markt in den kommenden Jahren „noch erwachsener“ werde. „Wir sehen schon jetzt, dass sich die Firmen sehr bemühen, enger mit uns zusammenzuarbeiten. Das ist auch gut so – letztlich wollen wir alle die Mobilität in den Städten so weit verbessern wie nur möglich.“

E-Scooter in Stockholm

Die schwedische Hauptstadt Stockholm ist ein Paradebeispiel für den E-Scooter-Boom in europäischen Städten. Seit 2018 die ersten Roller etabliert wurden, hat sich die Zahl der angebotenen Geräte in der Innenstadt bis zum Jahr 2021 auf 24.000 Fahrzeuge erhöht. Seitdem hat die Stadtverwaltung immer wieder die Regulierungen verstärkt. Derzeit gibt es ein Fahrzeuglimit von 12.000 Scootern, außerdem müssen sich Anbieter um eine Lizenz bewerben. Im Oktober 2022 besaßen so die Firmen Bird, Bolt, Dott, Tier und Voi eine Scooter-Lizenz in der Metropole. Am 1. September 2022 trat zudem ein neues Gesetz zur Regulierung des Scooter-Verkehrs in Kraft: So wurde das Parken auf Gehwegen oder Radwegen untersagt, abgestellt werden dürfen die Fahrzeuge nur noch auf extra ausgewiesenen Parkplätzen. Auch im Verkehr selbst sind Scooter in Schweden nun Fahrrädern gleichgestellt.

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