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Upgrade für die Stoßstange
Während Fahrzeuge selbst immer digitaler und vernetzter werden, besteht beim Nummernschild Nachholbedarf. Dabei hätte ein digitales Kennzeichen zahlreiche Vorteile. Foto: © David Beale/ Unsplash
Während Fahrzeuge selbst immer digitaler und vernetzter werden, besteht beim Nummernschild Nachholbedarf. Dabei hätte ein digitales Kennzeichen zahlreiche Vorteile. Foto: © David Beale/ Unsplash
Das Fahrzeugheck ist ein Statement, oft getränkt von Lokalkolorit aus Aufklebern von Vereinslogos und Umrissen der Urlaubsinseln Sylt oder Rügen. Mittendrin ragt das Autoschild mit Schrift auf Alublech heraus – seit über 100 Jahren. Zeit für einen Neuanfang.
Analoges Dasein
Das Autokennzeichen, genormt und gesetzliche Pflicht, ist immer dann ein Thema, wenn man stundenlang in der Zulassungsstelle sitzt und auf die eigenen Initialen hofft, eine originelle Kombination wie "DUD-E" entdeckt oder der Bußgeldbescheid mit dem Blitzerfoto per Post eintrudelt. Und obwohl sein Träger, das Auto, sich im permanenten Wandel befindet, immer digitaler, vernetzter und autonomer wird, wird bei der Neuwagenübergabe als Krönung ein Autoschild rangeschraubt. Was für ein Medienbruch.
Gut 48,5 Millionen Pkw sind nach Angaben des Kraftfahrt-Bundesamtes 2022 in Deutschland zugelassen. Dazu kommen rund 4,8 Millionen Motorräder, 6,3 Millionen Nutzfahrzeuge sowie etliche weitere Kleinfahrzeuge. Sie alle tragen ein Kennzeichen. Ob das normale Euro-, spezielle Saison-, Historien- sowie Kurzzeit-, Ausfuhr- oder Wechselkennzeichen, ob grüne und rote Kfz-Schilder, Schilder für Elektrofahrzeuge, Diplomaten und Behörden – hierzulande wütet nicht nur am Straßenrand, sondern auch auf dem Asphalt ein regelrechter Wildwuchs. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur bietet zur Orientierung eine App, die eine Schneise durch die hiesige Kennzeichenkultur schlägt, die auf eine lange, aber nicht spektakuläre Geschichte zurückblickt.
Gemächliche Vita
Spuren reichen bis in die Antike: Römische Streitwagen fuhren bei Wagenrennen mit einer Kennung. Im 17. Jahrhundert hatten Kutschen in England ein Wappen am Heck. In Deutschland waren rüpelhafte Fahrradfahrer der Anlass, dass Behörden Kennzeichen für Zweiräder einführten. Mit der eingeläuteten Ära des Automobils nahm der Verkehr sprunghaft zu, es brauchte eine einheitliche Lösung. 1906 gab es das erste deutsche Autoschild mit Systematik: römische Ziffern, gefolgt von Buchstaben und einer Nummer. Dann kam erst im Nachkriegsdeutschland wieder etwas Bewegung auf das Blech, mit der Kenntlichmachung der einzelnen Besatzungszonen. Das DDR-Schild wurde nach der Wende einfach vom westdeutschen System geschluckt. Abgesehen von der Einführung des EU-Kennzeichens hat sich seitdem nicht mehr viel getan.
Das Autokennzeichen kann mehr
Innovationen in der vergangenen Zeit waren selbstleuchtende Schilder, eine Alternative aus Kunststoff und eine Version mit 3D-Optik. Doch eine echte Revolution blieb aus. Das kommt nicht von ungefähr. In der "Verordnung über die Zulassung von Fahrzeugen zum Straßenverkehr" sind Gestaltung und Anbringung genau vorgegeben. Änderungen müssen vom Bundesrat bestätigt werden. Immerhin hat es der 2D-Barcode auf das deutsche Kennzeichen geschafft. Damit kann die sogenannte internetbasierte Fahrzeugzulassung des Kraftfahrt-Bundesamtes genutzt werden, die zuerst bei der Fahrzeugabmeldung und Wiederzulassung den Gang zur Zulassungsstelle endgültig obsolet machte. Seit 2019 schließlich funktionieren auch Neuzulassung und Umschreibung hierüber.
In Ländern wie Peru, Panama und auf den Cayman-Inseln sind längst integrierte RFID-Chips im Einsatz, die Daten zu Halter und Modell speichern und von den Verkehrsbehörden ausgelesen oder beschrieben werden können. Auch private Unternehmen hätten die Möglichkeit, den Speicherplatz auf dem Chip zu belegen und darüber digitale Dienstleistungen zu verknüpfen. Hierfür müsste jedoch die Infrastruktur mit entsprechender Technik ausgestattet sein, um die Auto-ID beim Vorbeifahren zu erkennen. Sei es beim Drive-in, beim Stopp an der Ladesäule, an der Parkhausschranke oder auf Mautstrecken. Das Kennzeichen könnte so zum Portemonnaie avancieren.
Vision: Kennzeichen to go
Eine vernetzte Digitalanzeige würde das Alublech und die unzähligen Sonderausführungen auf einen Schlag ablösen. Der Fahrer gibt per biometrischem Fingerscan oder Führerscheinscan seine Identifikation preis, die an die Datenbank der Zulassungsbehörde gekoppelt ist. Daraufhin erscheint je nach Status die Digitalanzeige, gerne an den bewährten Stellen. Und nicht der Halter, sondern der Fahrer würde damit dem Wagen zugeordnet sein. Sozusagen Identifikation in Echtzeit. Das setzt voraus, dass man Kennzeichen vom Auto entkoppelt. Eine Person erhält mit gültiger Fahrererlaubnis ein Kennzeichen auf Lebenszeit. Würde man Car Sharing nutzen oder mit einem Mietwagen losfahren, erfolgt die Verifizierung nach demselben Prozedere oder per Kundenkarte.
Ein Kennzeichen to go – unabhängig vom gerade genutzten Fahrzeug. Sämtliche Plaketten und Vignetten wären digital sichtbar. Nach der Hauptuntersuchung würde sich die Anzeige aktualisieren. Beim Autokauf könnte der neue Besitzer sich gleich bei der Zulassungsbehörde mit dem eingescannten Fahrzeugbrief registrieren und sein Kennzeichen einspielen lassen. Verliert ein Fahrer seinen Führerschein, ist die Versicherung oder der TÜV abgelaufen, wird das auf dem Schild entsprechend in großen Lettern angezeigt. Und beim Autodiebstahl würden rote, blinkende Buchstaben darauf aufmerksam machen. Schwere Zeiten also für Diebe.
Erstes Digital-Kennzeichen der Welt
Das Startup Reviver Auto aus San Francisco kommt dieser Vision mit der Rplate sehr nahe. Reviver hat gemeinsam mit der kalifornischen Verkehrsbehörde ein volldigitalisiertes Kfz-Kennzeichen in verschiedenen Ausführungen entwickelt. Der 12 x 6 große Zoll-Bildschirm lässt sich an der Stoßstange oder im Heck anbringen. Das IoT-Gerät eröffnet mit LTE-Technik eine Reihe an Möglichkeiten, die den Komfort für den Fahrer erhöhen. Beispielsweise lassen sich bequem per App Design, individuelle Nachrichten auf dem Display und die Wieder- oder Neulassung bei der Zulassungsstelle steuern. Darüber hinaus stehen diverse Telematikdienste zur Verfügung. So kann der Besitzer über die App jederzeit den Standort des Wagen ermitteln. Zu den Funktionen zählen auch Geofencing-Funktionen – wenn das Auto parkt, kann man zum Beispiel Werbung schalten.
Weitere Features sollen folgen, wie die automatische Anzeige landesweiter Wetterwarnungen, bei Diebstahl oder abgelaufener Zulassung. Darüber hinaus soll es künftig auch Park- und Mautgebühren entrichten können. Allerdings kostet das digitale Pendant erheblich mehr als das klassische Kfz-Schild: So ruft Reviver rund 500 US-Dollar für ein Jahresabo auf. Und Rplate muss noch beweisen, dass es gefeit ist gegenüber Hackerangriffen. Macht man damit die analogen Kriminellen arbeitslos, kommen digitalaffine zum Zuge. Sie könnten das System so manipulieren, dass es ständig wechselnde Kennzeichen anzeigt – ungewollt wie das drehbare Kennzeichen von James Bond. Statisch und analog war jedenfalls gestern. Die Zukunft der Autokennzeichen wird vernetzt, intelligent und ziemlich bunt.