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Drehen wir in Zukunft noch alle am Rad?
Vom Stahlgerippe zur Kommandobrücke: Hinter dem Lenkrad liegt eine bewegte Historie. Trotzdem könnte es bald zum Auslaufmodell werden. Foto: © Tesla
Vom Stahlgerippe zur Kommandobrücke: Hinter dem Lenkrad liegt eine bewegte Historie. Trotzdem könnte es bald zum Auslaufmodell werden. Foto: © Tesla
Rund, mit Knöpfen, Schaltern, Hupe, und dabei intuitiv zu bedienen – das Lenkrad ist unser direkter Kontakt zur Straße. Es ist neben dem Sitz das einzige Bauteil im Fahrzeug, mit dem wir einen intensiven Körperkontakt pflegen. Aber wie lange noch? Die Mensch-Maschine-Schnittstelle ist im stetigen Wandel.
Am Anfang stand die Lenkkurbel beziehungsweise Lenkstange wie im Patent-Motorwagen von Carl Benz aus dem Jahr 1886. Darüber verstellte der Fahrer die Lenkwinkel der Räder. Dieses Prinzip wurde aus dem Kutschenbau übernommen. Die Lenkung war jedoch alles andere als genau und flexibel. Der Franzose Alfred Vacheron entwickelte mit dem Lenkraddesign eine Alternative und verbaute es in einem Wagen der französischen Marke Panhard & Levassor. Der Ingenieur wollte mit seinem „Volant“ die Kontrolle über die Lenkbewegung optimieren. Der Clou: Das kreisförmige Lenkrad erlaubt die Übersetzung des Lenkeinschlags in mehrere Umdrehungen. Das ermöglichte eine weitaus präzisere Steuerung der Vorderräder. Die Idee wurde schnell hoffähig und ging bei Panhard & Levassor kurz darauf in Serie. Hersteller wie Packard, Rolls und Daimler folgten.
Die Evolution des Lenkrads
Im Laufe seiner Geschichte hat sich das Lenkrad immer wieder verändert, um den steigenden Anforderungen an Komfort und Sicherheit zu genügen. Mit dem dichter werdenden Verkehr wurde die Hupe Anfang des 20. Jahrhunderts zur Pflicht. Die Ballonhupe wanderte schon bald auf den Lenkradkranz. Es folgte die Hupentaste auf der Lenkradnabe. Später kam der Hupenring auf den Lenkradspeichen in Mode. Der Durchmesser des Lenkrades ist mit der Zeit kleiner und handlicher geworden, während in Lastwagen und Busse weiterhin gewaltige Steuerradkränze notwendig waren. General Motors führte die Servolenkung Anfang 1950 ein, die Technologie verringerte die Größe schlagartig. In Autos haben Steuerräder heute einen Durchmesser von etwa 40 Zentimetern, in Nutzfahrzeugen von bis zu 80 Zentimetern. Zur Markendistinktion bestücken die Hersteller das Lenkrad zusehendes mit dem obligatorischen Markenlogo und unterschiedlich vielen Speichen, die eigentlich dazu dienen, die direkten Vibrationen von der Straße auf die Lenkung abzufedern.
Vom Stahlgerippe zur intelligenten Kommandobrücke
Bis in die Jetztzeit stiegen die Funktionsumfänge: Blinker, zeitweise Getriebeschaltung, Lichthupe, Scheibenwischer, Tempomat, Abstandsregler. In den 1980er-Jahren hält das Airbag Einzug. Um die Jahrtausendwende avanciert das Steuerrad zur Multifunktionsschnittstelle zum Infotainment- und Kommunikationssystem. Folglich ist das Innenleben mit Kabeln, Platinen und Sensoren stetig gewachsen. Funktionalität ist aber nicht alles. Optik und Haptik unterstützen das Fahrerlebnis. Mal bestand das Lenkrad aus Holz, mal aus Kunstharz, später standardmäßig aus Stahl. Letzteres wird wahlweise mit Edelhölzern, elastischem Schaumstoff oder (Kunst-)Leder ummantelt. Griffmulden sorgen optional für bessere Ergonomie und Sportlichkeit. Heute ähnelt die Fahrerschnittstelle einer Kommandozentrale, mit der sich sämtliche Assistenzsysteme an Bord bequem bedienen lassen. Die jüngste Lenkradgeneration verfügt über eine Heizung, Funktionsbeleuchtung, berührungsempfindliche Touchflächen für Wischgesten oder Sensoren für die kapazitive Hand-on-Detection, die erkennt, ob die Hände des Fahrers das Lenkrad umfassen. Selbst direkt eingelassene Bildschirme gewinnen an Zuspruch. Tesla und Lexus bringen in ihren neuesten Elektromodellen den Lenker im Gullwing-Design – ähnllich wie das markante Steuerrad von K.I.T.T. in der Kultserie „Knight Rider“. Neue Lenktechnologien machen es möglich.
Wie wir in Zunkuft lenken
Trotz der fortschreitenden Entwicklung könnten Lenkräder irgendwann zum Auslaufmodell werden. Zahlreiche Hersteller und Zulieferer haben dieses Szenario schon in Fahrzeugstudien durchgespielt. Der im Jahr 1996 von Mercedes-Benz vorgestellte F 200 Imagination lenkt und bremst mithilfe zweier kleiner Steuerknüppel in der linken Tür und der Mittelkonsole. Beim futuristischen Einsitzer FV2 von Toyota steuert der Fahrer mittels Körperbewegung, indem er sich beispielsweise nach links oder rechts lehnt. Beugt er sich nach vorn, wird das Auto schneller. Langsamer wird das Gefährt, wenn der Fahrer sich zurücklehnt. Ähnlich wie beim Mobilitätsflop Segway. Bei Spielkonsolen wie der Nintendo Wii oder Xbox Kinect hat die Technologie bereits den Joystick ersetzt. Fahren (zeitweise) ohne Lenkrad – was in der Serie noch Zukunftsmusik ist und durch den Trend zu autonomem Fahren enormen Schub bekommt, machen die behindertengerechten Umbauten von Paravan bereits möglich: Via „Space Drive II“ fahren Menschen mit Schwerstbehinderung, teils ohne Arme und Beine, selbständig ihr Auto auf öffentlichen Straßen per Joystick, Rotationslenker oder Fußlenker. Gaspedal, Bremsen und Lenkung werden dabei zusammen elektrisch betätigt und elektronisch gesteuert ohne mechanische Verbindung. Alternativ lässt sich das Drive-by-wire-System auch mit einem Notebook, per App oder Fernbedienung lenken, während man im Fond sitzt oder neben dem Wagen steht. Die Zukunft des Lenkrads – sie ist längst Realität.