News

Abschied vom Blech

Die Evolution des Autos macht auch vor den Werkstoffen nicht halt. Mit funktionalen, nachhaltigen und besonders leichten Materialien feilen Hersteller an der Umsetzung neuer Fahrzeugkonzepte. Foto: obs/EDAG Engineering AG

Die Evolution des Autos macht auch vor den Werkstoffen nicht halt. Mit funktionalen, nachhaltigen und besonders leichten Materialien feilen Hersteller an der Umsetzung neuer Fahrzeugkonzepte. Foto: obs/EDAG Engineering AG

Stahl, Kunststoffe, Carbon, Hanf – in modernen Fahrzeugen stecken jede Menge Werkstoffe. Innovationen bei Materialien sind die Grundlage, um neue Fahrzeugkonzepte umzusetzen. Neue Ansätze und Fertigungsverfahren sind auf der IAA MOBILITY erlebbar.

Werkstoffe im Wandel

Im Laufe der vergangenen 130 Jahre haben Autoingenieure ganz unterschiedliche Werkstoffe ausprobiert und implantiert: Pionier Gottlieb Daimler baute seine Motorkutsche aus dem bewährten Baustoff Holz. Als „Rennpappe“ verhöhnt, bestand der Trabant aus Mangel an Alternativen lediglich aus Kunststoff. Aktuell kommen vorrangig Stahl, Aluminium, Carbon, Legierungen und Hybridwerkstoffe für Karosserie und Rahmen zum Einsatz, Naturfaser wie Leinen und Hanf oder Kunststoffe bereichern das Interieur. Tausendsassa Teflon wird zur Lackversiegelung und Beschichtung für Dichtungen eingesetzt. Zugleich arbeiten Hersteller, Zulieferer und Wissenschaftler an immer intelligenteren Lösungen. Dafür rüsten sie Materialien mit Leiterbahnen aus und vernetzen Bauteile. Ausgestattet mit Steuerungselektronik können Werkstoffe als Sensoren oder Adaptoren fungieren.

Moderne Fertigung im Werk Sindelfingen von Mercedes-Benz - Bildquelle: Daimler

Smarte Materialien

Die physischen Grundlagen für die sogenannte Adaptronik legten die Curie-Brüder 1880 mit der Entdeckung von Piezokristallen, die den Plattenspieler erst zum Musizieren brachten. Ähnlich den Piezomaterialien sind Werkstoffkombinationen, die durch äußere Einflüsse ihre Form verändern und reagieren – aber das ohne Software und elektrische Schaltkreise. Der Clou: Die Materialien verformen sich immer wieder von selbst, sei es durch Strom, magnetische Kräfte, Wärme und Licht, Druckluft oder chemische Reaktionen. Formgedächtnislegierungen beispielsweise nehmen unter niedriger Temperatur eine andere Gestalt an und kehren danach in ihre ursprüngliche Form zurück. Gerade der Innenraum ist ein Paradeplatz für derartige Materialien.

Nehmen wir die Sitze. In neuen Modellen sind das hochgerüstete Wellnessmöbel. Dazu schlummert hinter dem Leder ein Heer an Elektronik. Formgedächtnislegierungen passen sich den individuellen Körperkonturen an, ohne den Einsatz manueller Einstelltasten oder teurer biometrischer Automatismen wie beim Gesäß-Sensor von Nissan. So bräuchte der Pkw nicht mehr durchgängig Elektronik und aufwendige Kabelstränge. Elektroaktive Kunststoffe dagegen erzeugen unter mechanischen Kräften elektrischen Strom und umgekehrt – sozusagen Motor und Hydraulik in einem. Ein Fraunhofer-Projekt demonstrierte anhand einer Schuhsohle, wie das Material dabei zum Minikraftwerk avanciert: Beim Laufen produziert der Träger ausreichend Strom für seine portablen Geräte wie das Smartphone oder Wearables. Womöglich könnten eines Tages auch Räder das Material integrieren, um während der Fahrt die Autobatterie zu laden.

Sieht aus wie eine Seifenkiste: Das Setsuna Concept Car - Bildquelle: Toyota

Zurück zu den Wurzeln

Trotz seiner zwischenzeitlichen Verbannung aus der Karosserie feiert der Werkstoff Holz ein Comeback, wenn auch nur in Kleinserie. Denn der Naturstoff aus dem Wald ist weitaus vielseitiger, als viele denken. Er ist äußerst biegefest und stabil wie Aluminium, zum anderen vielfach leichter als seine metallischen und synthetischen Pendants. Damit eignet sich Holz nicht nur für Furnierleisten, sondern ebenso für tragende Teile, Verkleidungen im Innenraum oder als Seitenaufprallschutz für Türen. Vorteile, die die britische Morgan Motor Company seit 1909 überzeugen. Dort laufen noch immer exotische Roadster mit Rahmen aus Eschenholz vom Band. Wesentlich archaischer ist Toyotas Setsuna-Konzeptstudie. Die Außenverkleidung besteht aus Zedernholz, für den Rahmen wurde unter anderem Birke eingesetzt. Für die Zusammensetzung der einzelnen Teile hielten sich die Ingenieure streng an die japanische Tischlerlehre Okuriari, bei der man passgenaue Holzelemente ohne Schrauben einfach zusammensteckt.

Neben Holz werden auch andere nachwachsende Rohstoffe wie Hanf, Baumwolle, Leinen oder Flachs für den Autobau genutzt. Meist stecken die Naturfasern in Ladeböden, Verkleidungsteilen oder Bodenbelägen. Der Autokonzern Ford experimentiert seit 20 Jahren an nachhaltigen Materialien. Heute kommen verschiedene Biomaterialien in seinen Modellen zum Einsatz, darunter Soja, Rizinusöl, Weizenstroh, Kenaf, Cellulose, Holz, Kokos und Reis. Mit dem mexikanischen Tequilaproduzenten Jose Cuervo ist das Unternehmen sogar eine Kooperation eingegangen, um an der Eignung von Agaven für Bauteile zu forschen. Zudem sind die Fordisten auch am Einsatz von Bambusholz interessiert.

Die Fahrgastzelle des BMW i8 ist aus carbonfaserverstärktem Kunststoff - Bildquelle: BMW.

Leichtbau: Jedes Gramm zählt

Eines der Topthemen in der Automobilindustrie ist die Frage, wie Fahrzeuge, vor allem Elektroautos, leichter und damit effizienter werden. Immer wieder wird Carbon dabei ins Spiel gebracht. Der Superwerkstoff wiegt nur halb so viel wie Stahl und rund ein Drittel weniger als Aluminium. Doch er ist kostspielig. Neben dem aufwendigen Produktionsverfahren kann das Material bei einem Unfall unkontrolliert zersplittern und ist dann nicht mehr reparabel. Für große Fahrzeugvolumina wird Carbon daher nur eingeschränkt verwendet. Verbesserte Aluminiumlegierungen und Sandwich-Stähle sind Alternativen, um das Gewicht zu reduzieren. Oftmals setzen aber vor allem konventionelle Fertigungstechniken dem Leichtbau enge Grenzen.

Mit additiven Fertigungsverfahren wie dem Selektive Laser Melting und Sintering, 3-D-Druck, der Stereolithografie oder dem Fused Deposition Modelling sind heute völlig neue Ansätze realistisch, um beispielsweise natürlichen Bauprinzipien wie Waben- oder Gitterstrukturen einen großen Schritt näher zu kommen, die wesentlich weniger Werkstoffe benötigen und damit ressourcenshonender sind. Die Fahrzeugstudien "Light Cocoon" und "Soulmate" von EDAG beispielsweise bestehen komplett aus einer skelettartigen, bionisch optimierten Fahrzeugstruktur. Überzogen ist der Sportwagen mit einer wetterbeständigen Außenhaut aus einem dreilagigen Polyester-Jersey-Stoff von Outdoor-Spezialist Jack Wolfskin. Neben dem hohen Leichtbaupotenzial lassen sich auch bewegliche Bauteile damit umhüllen, wie der Spoiler. Das Textil macht alle Bewegungen mit. So könnte ein Fahrzeug irgendwann auf Knopfdruck seine Größe verändern oder den Windverhältnissen anpassen.

Weitere Artikel