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Unterwegs im autonomen Auto: Wo die Zeit anders tickt

Im autonom fahrenden Auto müssen wir uns in Zukunft nicht mehr auf den Straßenverkehr konzentrieren. Der Wagen fährt allein – und wir haben endlich Zeit für die Dinge, die uns wichtig sind. Neue Technologien machen aus unserem Fahrzeug zu jeder Tageszeit einen anderen Ort: Büro, Kino, Relax-Lounge.

Die Fahrt zur Oma dauert eine Stunde. Fast lautlos gleitet das Auto durch die Straßen. Drinnen lautes Gelächter. Ein Tisch, darauf ein Mensch-ärgere-Dich-nicht-Spiel, vier Sitze drumherum, die Eltern und ihre zwei Kinder. Schon wieder hat der Sohn die Mama rausgewürfelt. Zurück ins Häuschen. Auf die Straße schaut niemand. Halten an der Ampel, Fußgänger am Zebrastreifen über die Straße lassen – das Auto macht das schon.

Noch ist das voll autonome Fahren des Autos, auch Level 5 genannt, Zukunftsmusik. Große Automobilhersteller (OEMs), Start-ups und Zulieferer forschen bereits seit mehr als zehn Jahren am selbstfahrenden Auto. Mit den neuen Entwicklungen im Bereich E-Mobilität gewinnt ein Teil des Autos an Bedeutung, der zu Anfang nicht im Fokus stand: das Interieur.

Der Elektroantrieb braucht schon jetzt nicht mehr so viel Platz wie die Motortechnik eines Verbrenners. Künftig könnten auch Instrumententafel, Brems-, Play- und Gaspedal entfallen. Das Lenkrad lässt sich im Cockpit versenken oder wird ebenfalls unnötig. 3-D-Bedienelemente sind nur noch zu sehen, wenn sie benötigt werden.

Der gewonnene Platz steht nun den Insassen zur Verfügung – und macht den Fahrzeuginnenraum zum dritten Lebensbereich für Fahrgäste und zur phantastischen Spielwiese für Designer. Flexibel arrangierbare Gestaltungselemente lösen die jetzigen festen Strukturen wie Sitze ab. Der Raum passt sich den Fahrgästen an.

Ein Kaffee in der Mittelkonsole, vor der Nase ein Touchpad – die Zeit während der Fahrt lässt sich auch anders nutzen als mit Gasgeben, Bremsen und Lenken © Rinspeed

Quantity Time, Quality Time, Down Time

Zeit ist das Wertvollste, was wir haben. Wir können sie nicht zurückdrehen, nicht verlängern, nur den Moment genießen und das Beste daraus machen. Genau das soll das selbstfahrende Auto der Zukunft uns schenken: Zeit. Zum Arbeiten. Zum Ausruhen. Für die Familie. Für unsere Freunde. Für uns selbst. Waren früher Parks oder Cafés der „dritte Bereich“, so wird es künftig das Auto sein. Und die Möglichkeiten sind schier unbegrenzt.

Auf dem Weg zum Büro oder auf der Dienstreise schon Arbeit erledigen? Kein Problem. Sitze sind flexibel, lassen sich auch mit dem Rücken zur Frontscheibe drehen. Ein Tisch fährt aus der Fahrertür. Fenster werden dank OLED-Technologie zu digitalen Touchscreens. Meetings werden so ebenso möglich wie das Abrufen von Emails und Bearbeiten wichtiger Dateien oder Präsentationen.

Die 25. Stunde des Tages

Eine Stunde pro Tag verbringen wir durchschnittlich im Auto, hat Audi herausgefunden. In einer Studie mit Namen „25. Stunde“ testete der Autohersteller zusammen mit dem Fraunhofer Institut IAO schon 2017, wie ein intelligentes und intuitives Interieur den Menschen hilft, sich zu konzentrieren – und auf diese Weise beispielsweise zum perfekten mobilen Arbeitsplatz wird. Verdunkelbare Scheiben, ruhige Musik und ein konzentrationsförderndes Lichtkonzept können eine Arbeitsumgebung erschaffen, die jene eines Büros sogar übertrifft. Im eigenen Auto, ganz abgestimmt auf individuelle Vorlieben und Gewohnheiten, ohne Störungen und Reize von außen oder von Kolleg:innen.

Wie ein zweites Wohnzimmer: Die Innenräume von Autos werden flexibler und gemütlicher © Daimler

Immer wieder anders

Doch wer Auto fährt, wünscht sich Flexibilität. Das Interieur soll ganz unterschiedlich zu nutzen sein. War das Auto morgens noch Office-Ersatz, so wird es nach Feierabend zum Erholungsort. „Down Time“ nennt man die Erholungszeit, wenn der Sitz zur Liegefläche wird – vielleicht sogar für zwei –, das Auto zonenweise mit Musik und Düften erfüllt oder mit gedimmtem Licht sanft beleuchtet wird. Der Dachhimmel wird zum Breitbandbildschirm. Augmented Reality oder Mixed-Reality-Brillen (HoloLens) zeigen neue Welten. Dösen, lesen, den Rücken massieren lassen – alles ist möglich. Knöpfe drücken ist nicht nötig, die Steuerung erfolgt per Sprachassistent. Richtig gemütlich wird es, wenn Sensoren die Körpertemperatur messen und für jeden Fahrgast die Raumzone individuell klimatisieren. Das Auto ist voll vernetzt: Ein Blumenstrauß für Mama? Schnell noch das Restaurant für den Abend buchen? Kein Problem, per Clouddienst kann dies alles auch auf der Kurzstrecke erledigt werden.

Fische, Feen oder Piraten

Die Vielseitigkeit wird nicht nur im privaten Pkw gewünscht. Sie ist in Carsharing-Flotten mit vielen verschiedenen Nutzern und deren unterschiedlichen Wünschen erst recht nötig. Hier kommt noch hinzu, dass das Auto hohe hygienische Standards erfüllen muss – das hat vor allem die Corona-Pandemie ins allgemeine Bewusstsein gerückt. Im geteilten Fahrzeug müssen Oberflächen abwaschbar, robust und langlebig sein. Zudem sollten sie antibakteriell und multiresistent sein.

Klar ist: Wenn so die Autos der Zukunft aussehen, werden Fahrten alles andere als öde sein. Auch nörgelnde Kinder auf Langstrecken wird es nicht mehr geben. Wenn ihnen langweilig wird, verwandeln wir die Fenster einfach in ein Aquarium, ein Seeräuberschiff oder lassen Feen und Drachen virtuell am Auto vorbeigleiten.

(Aufmacherfoto © Rinspeed)

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